[Seitenwechsel; unpaginiert]
[Seitenwechsel; unpaginiert]
Wer die ersten Abschnitte der folgenden Schrift durchblättert,
mag geneigt sein, in ihr eine Streitschrift zu sehen. Wer sich aber entschließt,
sie bis zu Ende zu lesen, der wird sich überzeugen, daß sie vielmehr
eine Friedensschrift genannt werden könnte. Philosophie und Psychologie
sollen sich nach der Meinung einiger ihrer Vertreter scheiden lassen. Nun ist
bekannt, daß, wenn ein Ehepaar die Scheidung beantragt, in der Regel beide
Teile unrecht haben. Diese Blätter wollen zeigen, daß dies auch im
gegenwärtigen Fall zutrifft, und daß, wenn der Prozeß nach dem
Wunsch der Parteien ausginge, die Philosophie mehr verlieren als gewinnen, die
Psychologie aber auf das schwerste geschädigt würde, so daß der
Streit um die Frage, ob sie eine philosophische Wissenschaft ist oder nicht, für
sie einen Kampf ums Dasein bedeutet.
Leipzig, Februar 1913.
W. Wundt.
[Seitenwechsel; unpaginiert]
[leeres Blatt] [Seitenwechsel; unpaginiert]
Seit einiger Zeit geht eine lebhafte Bewegung durch die
philosophische, insonderheit akademische Welt. Philosophie und Psychologie
wollen sich trennen, und daß die Zeit zu dieser Trennung gekommen sei, darüber
scheinen beide Teile einig. Die experimentelle Psychologie ist nach ihnen zu
einer selbständigen Einzelwissenschaft herangereift; es sei darum
erforderlich, daß bei ihr jene Loslösung der Einzeldisziplin von der
Mutterwissenschaft der Philosophie, die sich von der Renaissancezeit an für
die meisten andern Gebiete durchgesetzt habe, nun auch auf die Psychologie übergreife.
Zwar ist es ein einzelner Fall, der wohl hauptsächlich diese Bewegung in
Fluß gebracht hat, nämlich die Berufung eines Psychologen auf einen
Lehrstuhl, der bis dahin von einem strengen Philosophen besetzt war; und es ist
zweifelhaft, ob es anfänglich nicht sowohl die allgemeine Tendenz zur
Trennung der Gebiete als vielmehr der Wunsch, die Stelle durch eine bestimmte
andere Persönlichkeit als die berufene besetzt zu sehen, gewesen ist, der
die Agitation ins Leben rief. Aber nachdem diese einmal entstanden war, ist die
zunächst singuläre Frage zu einer prinzipiellen erhoben worden, und
dem von seiten der exklusiven Philosophen gestellten Begehren, die Psychologen
aus dem Wettbewerb um Lehrstellen der Philosophie auszuschalten, ist die
Forderung der [1/2] exklusiven Psychologen zu Hilfe gekommen, der Psychologie
die Stellung einer selbständigen Lehrdisziplin an unsern Universitäten
zu gewähren. Beide, Philosophen wie Psychologen, begegnen sich daher in der
Betonung der Selbständigkeit der Psychologie.
Aber wenn zwei dasselbe tun, so ist es bekanntlich nicht immer
dasselbe. In der Tat, sieht man die Kundgebungen näher an, in denen die
scheinbar gleichgesinnten Parteien sich äußern, so erkennt man
unschwer, daß die Motive, von denen man hier und dort beseelt ist,
wesentlich auseinandergehen. Die Philosophen sehen sich augenscheinlich in ihrem
Besitzstande gefährdet: je weniger ihnen die neueren psychologischen
Forschungsmethoden sympathisch sind, da sie außerhalb des Gesichtskreises
ihrer eigenen Arbeit liegen, um so mehr sehen sie in den experimentellen
Psychologen Eindringlinge, die den Lehrbetrieb der Philosophie und
die emporstrebenden Dozenten der eigentlichen Philosophie
benachteiligen. Sie betonen daher mit großer Emphase die
Selbständigkeit der experimentellen Psychologie, empfehlen
diese sogar den Regierungen zur
geneigten Berücksichtigung; aber der Schwerpunkt ihrer Wünsche
liegt doch in der mehr negativen Forderung: hinaus mit der Psychologie aus der
Philosophie!
Ganz anders die Psychologen, die fernerhin nur Psychologen sein
wollen und sich von der Beschäftigung mit der übrigen Philosophie von
Amts wegen befreit sehen möchten. Ihnen ist es wirklich um die Selbständigkeit
der Psychologie zu tun. Darum betonen sie nicht bloß die Eigenart der
Methoden und Hilfsmittel sowie der Vorbildung, deren der Psychologe heute
bedarf, und die es ihm unmöglich machen sollen, zu allem dem auch noch die
so manche andere Anforderungen stellende Philosophie zu beherrschen, sondern sie
erklären es auch im Hinblick auf die wachsende [2/3] Bedeutung, welche die
Psychologie für die praktischen Gebiete der verschiedensten Wissenschaften
gewonnen habe, für unbedingt erforderlich, daß die Vorlesungen und
Lehrkurse der Psychologen weit über die bis jetzt bestehenden Grenzen
ausgedehnt werden. Die Psychologie, so meint man, möge zwar selbst, wie
bisher, innerhalb der philosophischen Fakultät bleiben, aber eine gewisse Nötigung
zu ihrer Beschäftigung müsse auch für die Studierenden anderer
Fakultäten, namentlich die Mediziner, künftig eintreten, indem man
etwa die Psychologie mit Rücksicht auf ihre Wichtigkeit für die
Psychiatrie und Neuropathologie in den Kreis der ärztlichen Prüfungsfächer
aufnehme. Mit dieser erweiterten Aufgabe sei aber der gleichzeitige Unterricht
in andern philosophischen Lehrfächern nicht mehr verträglich. Die
experimentelle Psychologie fordere ihren Mann ganz, eine Spaltung seiner Arbeit
nach beiden Seiten, der psychologischen und der philosophischen, würde eine
unerhörte Belastung für den Psychologen sein. Hier lautet also die
Devise im Grunde umgekehrt wie oben: hinaus mit der Philosophie aus der
Psychologie!
Nun ist es merkwürdig, daß in den Diskussionen über
diese Frage, in denen beide Parteien, wenn auch zum Teil aus entgegengesetzten
Gründen, so sehr in der Überzeugung eines Anspruchs der Psychologie
auf die Stellung einer selbständigen Einzelwissenschaft einig scheinen,
eine Frage kaum auch nur gestreift worden ist, von der man doch denken sollte,
sie sei vor allen andern entscheidend: die Frage nämlich, inwieweit der
Psychologe überhaupt der Philosophie entbehren kann und nicht vielmehr überall,
wo er sich in ihre eigenen Probleme vertiefen will, der Mithilfe philosophischer
Betrachtungen bedarf, die er, wenn sie von Wert sein sollen, aus eigener selbständiger
Arbeit gewinnen muß. Dieser, so viel ich sehen kann, bis dahin kaum in
Er-[3/4]wägung
gezogenen Hauptfrage sollen die folgenden Erörterungen
gewidmet sein. Zuvor aber scheint es mir unerläßlich, sowohl die
teils öffentlich vorgebrachten wie die unverkennbar im stillen maßgebenden
Motive der Philosophen und der Psychologen, die in diesem Antrag auf ihre künftige
Scheidung übereinstimmen, etwas näher zu beleuchten.
Wir lassen der Philosophie als der älteren Wissenschaft den
Vortritt. Ich gehe hier über den singulären Fall hinweg, der zu der
Erregung der philosophischen Welt den ersten Anstoß gab, da es sich bei
ihm, wie gesagt, wohl mehr um eine persönliche als um eine sachliche
Angelegenheit handelte. In der Tat ist jetzt auch in einer
von
angesehenen Vertretern der Philosophie ausgehenden Erklärung
die Angelegenheit durchaus nur in ihrer
ganz allgemeinen
Bedeutung in den Vordergrund
gestellt worden
.
Nach
dem der Erklärung beigegebenen Begleitschreiben besteht überdies
die Absicht, dieselbe nicht nur an die deutschen Regierungen zu versenden,
sondern auch durch die Presse den weitesten Kreisen des Publikums den durch das
Eindringen der experimentellen Psychologie hervorgerufenen Notstand des
philosophischen Unterrichts ans Herz zu legen. Ich darf daher wohl den Inhalt
dieser Erklärung als einen authentischen Ausdruck der Anschauungen der
Unterzeichner betrachten.
Nun tritt unter den geltend gemachten Motiven die rege Teilnahme
an dem Fortschritt der experimentellen Psychologie und die Besorgnis für
ihre künftige, nicht mehr durch philosophische Verpflichtungen ihrer
Vertreter gehemmte Entwicklung in anscheinend höchst erfreulicher Weise in
den [4/5] Vordergrund. Aber man kann sich doch nicht des Eindrucks erwehren, daß
die Voranstellung dieses Motivs mehr eine Captatio benevolentiae des Lesers
bedeutet, als daß sie für die Unterzeichner wirklich im Vordergrund
stünde.
Sicherlich bezweifle ich nicht, daß es einzelnen der
Teilnehmer an dieser Kundgebung mit ihrem Eintreten für die Interessen der
Psychologie durchaus ernst ist. Aber bei andern wird man doch nicht umhin können,
die hohe Wertschätzung für diese Wissenschaft, die sich in der Erklärung
ausspricht, mit den anderweitigen Äußerungen der nämlichen
Philosophen zu vergleichen. Wenn z. B. unter ihnen ein ausgezeichneter Vertreter
der historischen Philosophie gelegentlich bemerkt hat, zum Besteigen eines
philosophischen Katheders genüge es bisweilen, wenn jemand methodisch auf
elektrische Knöpfe zu tippen gelernt habe und in langen, tabellarisch wohl
geordneten Versuchsreihen zahlenmäßig beweisen könne, daß
manchen Menschen langsamer etwas einfällt als andern, so stimmt das nicht
recht mit der liebevollen Fürsorge zusammen, die die Erklärung gegenüber
der experimentellen Psychologie bekundet. Aber ich bin weit davon entfernt, aus
solchen und ähnlichen Widersprüchen den Urhebern der Kundgebung einen
Vorwurf zu machen. Solche Dokumente sind ja stets Kompromisse, bei denen der
einzelne seine eigene Meinung in gewissem Grade andern Anschauungen
unterzuordnen pflegt. Immerhin wird man annehmen dürfen, daß es doch
nicht gerade die Sorge um die Zukunft der experimentellen Psychologie ist, was
die Teilnehmer zu dieser Kundgebung veranlaßt. Das hegt denn ja auch
deutlich genug darin ausgesprochen, daß es hauptsächlich die Beeinträchtigung
des philosophischen Lehrbetriebs ist, der durch die Einwanderung der Psychologen
in philosophische Lehrstellen verursacht werde, worüber man Klage führt.
Statt, wie es das gesteigerte Interesse der Zeit [5/6] an der Philosophie
fordern würde, die Zahl der philosophischen Professuren, namentlich auch
mit Rücksicht auf die Vertretung der verschiedenen Gebiete der Philosophie,
zu vermehren, vermindere man sie, indem man sie mit Psychologen, die doch nach
dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft überhaupt nicht als Vertreter
der Philosophie gelten könnten, besetze. Auch hier kann ich jedoch nicht
umhin, zu finden, daß diese Motivierung nicht ganz mit dem Verhalten
einzelner der Unterzeichner übereinstimmt. Gibt es doch immer noch
angesehene Universitäten, die sich mit einem einzigen philosophischen
Ordinariat begnügen, ohne daß die Professoren, die diese Lehrstühle
innehaben, eine Ergänzung nach andern, von ihnen nicht vertretenen
Richtungen offenbar für nötig halten, obgleich angesichts der, wie die
Erklärung mit Recht hervorhebt, zunehmenden Bedeutung des philosophischen
Unterrichts in der Gegenwart dieser Mangel so augenfällig ist, daß
sich keine Regierung, wenn sie darauf hingewiesen würde, derNotwendigkeit
einer Ergänzung der philosophischen Lehrfächer verschließen könnte.
Doch gehen wir über diesen, bekanntlich auch in der akademischen Welt
nicht ganz seltenen Widerspruch zwischen Denken und Handeln hinweg, so bleibt
noch ein anderer Punkt der Erklärung, der mehr theoretischer Natur ist und
zum Teil mit den anderwärts betätigten Grundsätzen der
Unterzeichner im Widerspruch steht. Die Erklärung fordert ausschließlich
die Beseitigung der experimentellen Psychologie aus dem philosophischen
Lehrplan. Darin liegt eine Mehrdeutigkeit, die in einer Kundgebung von so
weittragendem Inhalt vermieden sein sollte. Heißt dies, daß man bei
dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft die experimentelle überhaupt
als die noch allein berechtigte Psychologie betrachtet? Dies könnte ja für
einen Vertreter dieser Disziplin nur erfreulich sein. Aber obgleich ich selbst
[6/7] zu diesen Vertretern gehöre, müßte ich meinerseits eine
solche Auffassung als eine Übertreibung zurückweisen, die den tatsächlichen
Verhältnissen widerspricht. Ich sehe davon ab, daß manche Gebiete der
Psychologie, wie die Kinder-, die Tierpsychologie, die gerade in der Gegenwart
eifrig gepflegt werden, nur teilweise der experimentellen Methode zugänglich
sind; ein großes Feld empirisch-psychologischer Aufgaben gibt es aber
bekanntlich, das dieser Methode völlig unzugänglich ist: die Völkerpsychologie.
Ist den Philosophen die Existenz dieses Gebietes unbekannt? Oder wollen sie es
sich selbst reservieren? Oder halten sie es für so unbedeutend, daß
es neben der experimentellen nicht erwähnt zu werden verdient? Doch gesetzt
auch, die Völkerpsychologie sei hier unerwähnt gelassen, weil sie im
akademischen Unterricht noch nicht in dem Maße wie die experimentelle
durchgedrungen ist, so bleibt eine weitere Frage offen: sind die Philosophen
nicht der Meinung, daß man auch von einem andern als dem experimentellen
Standpunkt aus Psychologie lesen und psychologische Probleme bearbeiten kann?
Ich bin geneigt anzunehmen, daß die Mehrzahl der Unterzeichner des Aufrufs
diese Frage unbedingt bejahen wird; jedenfalls gibt es viele Philosophen, die in
diesem Sinne die Psychologie in Forschung und Unterricht vertreten, und ich kann
nicht glauben, daß man gerade von philosophischer Seite her die
Existenzberechtigung dieser Richtung der Psychologie zugunsten der
experimentellen bestreiten möchte. Es ist also ganz klar: es handelt sich
nicht darum, die Psychologie überhaupt aus dem System der philosophischen
Lehrfächer auszuschließen, sondern nur diejenigen Psychologen sollen
von diesem Bannstrahl getroffen werden, die sich experimenteller Methoden befleißigen.
Nun könnte man denken, es sei hier eine Trennung in ähnlichem
Sinne beabsichtigt, wie sie bekanntlich in der [7/8] Psychologie des 18.
Jahrhunderts zwischen rationaler und empirischer bestand. Dann würden etwa
die Philosophen den rationalen, die experimentellen Psychologen den empirischen
Teil zu übernehmen haben. Dennoch kann ich nicht glauben, daß heute
noch ein Philosoph auf einen solchen Gedanken verfallen sollte. Dazu lebt doch
die Kritik, die dereinst Kant an der rationalen Psychologie geübt, noch zu
sehr in unserer Erinnerung, als daß sogar diejenigen unter den heutigen
Philosophen, die nicht gerade selbst Kantianer sind, auf diesen Gedanken
verfallen könnten. Trifft dies zu, behalten sich die Vertreter der
philosophischen Psychologie nicht minder eine empirische Betrachtung des
seelischen Lebens vor, so ist es klar, daß es sich hier überhaupt
nicht um eine prinzipielle Scheidung der Wissenschaften selbst handeln kann.
Nicht die empirischen Psychologen als solche will man
aus der Philosophie entfernen, sondern nur diejenigen, die sich
des Experiments als Hilfsmittel bedienen. Kurz ausgedrückt: In der
Philosophie soll nicht experimentiert werden. Wer
das tut, hat
den Anspruch verscherzt, zu den Philosophen gezählt zu
werden. Er soll sich dieser Methode enthalten oder andern Platz machen, die
nicht durch ihren Gebrauch des Anspruchs, reine Philosophen zu heißen,
verlustig gegangen sind.
Erwägt man diese Bedeutung, die nach Ausscheidung aller
andern Möglichkeiten die Betonung des Ausdrucks experimentelle
Psychologie" in der Erklärung der Philosophen allein haben kann, so
gewinnt die Sache allerdings ein ganz anderes Gesicht, als es nach den
wohlwollenden Worten der Erklärung gegenüber dieser neuen Richtung
wohl scheinen könnte. Soll nicht die Psychologie, und nicht einmal die
empirische, sondern nur diejenige, die sich des Experiments bedient, zu einer
selbständigen Disziplin außerhalb der Philosophie gemacht werden, so
ist es offenbar eben nur das [8/9] Experiment, welches man für unvereinbar
mit der Stellung des Philosophen hält. Und hier kann man denn doch nicht
umhin, sich wiederum der nicht allzu wohlwollenden Ausdrücke zu erinnern,
mit denen historisch gerichtete Philosophen die experimentierenden Psychologen
bedenken. Man liest aus diesen Ausdrücken deutlich heraus, daß
Verfahrungsweisen, die zu einem guten Teil doch auch technischer Art sind, der
Philosophie allzu fern und unter ihren höheren Zielen allzu tief liegen,
als daß man sie mit ihr vereinbar halten könnte. Wenn ich mir
erlauben darf, den vielleicht nur im dunklen Hintergrund des Bewußtseins
schlummernden Gedanken etwas mehr in den Vordergrund zu ziehen, so ließe
sich dieser vielleicht kurz und drastisch so ausdrücken: das
Experimentieren ist eine banausische Kunst; demnach ist der experimentelle
Psychologe bestenfalls ein wissenschaftlicher Handwerker. Ein Handwerker paßt
aber nicht unter die Philosophen.
Gewiß ist es nicht meine Meinung, daß dies die
Ansicht aller oder auch nur der Mehrzahl der Unterzeichner sei; aber daß
sie bei einigen verwaltet, läßt sich, wie ich meine, dokumentarisch
beweisen, und daß sie bei andern wenigstens leise anklingt, wird der
Psychologe, der dazu nicht einmal ein experimenteller, sondern nur ein
praktischer Psychologe zu sein braucht, nicht unwahrscheinlich finden. Sehen wir
aber von diesem Motiv ab, so bleibt als ein letztes, in der Erklärung
geltend gemachtes Argument nur dies übrig, daß die experimentelle
Arbeit allzu sehr belaste, um noch in zureichender Weise eine Beteiligung an dem
philosophischen Unterricht möglich zu machen. Gegenüber diesem
Argument wird man jedoch zugeben müssen, daß Philosophen, die niemals
selbst experimentiert haben, hier nicht als kompetente Beurteiler betrachtet
werden können. Da übrigens nicht wohl anzunehmen ist, daß die
Unterzeichner dieses Motiv [9/10] der Überlastung ohne jeden Grund
beigebracht haben, so darf man vermuten, daß sie sich hierbei auf die
Aussagen von Vertretern der experimentellen Psychologie selbst stützen. Es
wird daher zweckmäßig sein, diesen Punkt erst im Zusammenhang mit den
von seiten der Psychologen erhobenen Forderungen zu beleuchten.
Im allgemeinen pflegen nun freilich die experimentellen
Psychologen wesentlich andere Argumente ins Feld zu führen als die
Philosophen, mit denen sie in ihren Trennungsbestrebungen zusammentreffen. Im
Vordergrund steht hier nicht sowohl die Psychologie selbst als vielmehr die
Notwendigkeit einer gründlichen psychologischen Schulung für die Angehörigen
sonstiger Fachgebiete. Dies ist in neuerer Zeit ganz besonders in bezug auf die
Medizin ausgeführt worden, während sich bei den andern Fakultäten,
der juristischen, der theologischen, dieser Mangel wegen der allgemeinen
geisteswissenschaftlichen Vorbildung ihrer Studierenden weniger geltend mache.
Ich kann zwar dieser Ansicht durchaus nicht beipflichten, und ich möchte
glauben, daß auch die Forscher, die sich in neuerer Zeit eingehender mit
dem Gebiet der sogenannten Aussagepsychologie, d.h. mit den erstaunlichen Irrtümern
und Erinnerungstäuschungen bei Zeugenaussagen und mit dem manchmal noch
staunenswerteren Vertrauen, das unsere Richter in solche Aussagen setzen, beschäftigt
haben, mir zustimmen werden. Auch daß den Theologen in ihren theoretischen
Studien wie für ihren praktischen Beruf manchmal eine gründlichere
psychologische Vertiefung zu wünschen wäre, wird niemand leugnen. Aber
jeder betrachtet eben, wie billig, solche Dinge von dem ihm näher liegenden
[10/11] Gesichtskreis aus; und so will ich mich denn auf die Psychologiebedürftigkeit
der Mediziner, da diese in den Vordergrund gestellt ist, beschränken. Hier
kann ich nun gerne zugeben, daß eine gründliche psychologische
Bildung für den Arzt wünschenswert, und daß sie insonderheit für
den Psychiater und Nervenarzt unerläßlich ist. Freilich darf man
nicht vergessen, daß dieser Wunsch nach psychologischer Bildung in beiden
Fällen eine sehr verschiedene Bedeutung hat. Ich glaube über diesen
Punkt etwas vorurteilsfreier urteilen zu können als die bloßen
Laboratoriumspsychologen, da ich selbst dereinst die verschiedenen Stadien ärztlichen
Berufs durchlaufen und dabei Gelegenheit gehabt habe, Ärzte kennen zu
lernen, die ausgezeichnete praktische Psychologen, und andere, die das Gegenteil
davon waren. Wenn man mit Recht gesagt hat, der geniale Arzt müsse so gut
wie der geniale Dichter geboren werden, so soll das natürlich nicht heißen,
daß die erworbene Bildung für beide gleichgültig sei. Ja ich möchte
glauben, daß ein guter Teil der Anlagen des genialen Arztes gar nicht auf
der Seite seiner spezifisch medizinischen Kenntnisse liegt, sondern daß er
in jener praktischen Psychologie besteht, die, wie jede geniale Anlage, teils
angeboren, teils durch Übung erworben ist. Und wem böte sich ein
reicheres Feld praktisch-psychologischer Beobachtung als dem Arzte, und wem
unter günstigeren Bedingungen als ihm, der den Menschen in jenen
Lebenslagen beobachtet, in denen alle Hüllen sinken, mit welchen im gewöhnlichen
Leben die Konvention und die Rücksicht auf andere das Innere des Menschen
verbergen. Wohl mag auch diese der prophetischen Intuition vergleichbare Gabe
des erfahrenen Arztes durch psychologische Studien gesteigert werden können,
wie ja überall die Theorie der Praxis hilfreich sein kann, aber unbedingt
notwendig ist das nicht. Ja, im Grunde ist für den ärztlichen
Praktiker die wissenschaftliche Psychologie kaum [11/12] in anderem Sinne eine wünschenswerte
Zugabe seiner allgemeinen Bildung, als sie es für die Angehörigen
anderer Wissenschaften und ihrer Anwendungen ist.
Anders steht es natürlich mit der Psychiatrie und
Nervenpathologie, die übrigens bekanntermaßen eigentlich nur ein
einziges Gebiet sind. Könnte man doch, abgesehen von den in die sonstige
Pathologie herüberreichenden Fällen, in denen die psychische Seite der
Funktionen des Nervensystems zurücktritt, ziemlich zutreffend den
Psychiater als einen Nervenarzt definieren, der über eine Klinik verfügt,
und den Nervenarzt als einen Psychiater, dem eine solche fehlt und der diesen
Defekt durch die nebenhergehende Behandlung auch solcher Nervenkrankheiten
ersetzt, die nicht mit tiefer greifenden psychischen Störungen verbunden
sind. Daß die berufsmäßige Beschäftigung mit der
Psychiatrie ein gründliches psychologisches
Studium voraussetzt,
ist heute wohl allgemein anerkannt, nachdem die vorbereitende Ära
der wissenschaftlichen Psychiatrie der Gegenwart, die in der Gehirnanatomie
nicht bloß die letzte, sondern auch in Ermangelung einer zurzeit noch
nicht existierenden Gehirnphysiologie die einzige Grundlage der Psychiatrie sah,
im ganzen der erhöhten Beachtung der psychischen Seite der Funktionsstörungen
Platz gemacht hat. Daß unter diesem Gesichtspunkt ein eindringendes
psychologisches Studium für den Psychiater ebenso notwendig ist, wie
umgekehrt wiederum eine psychologisch vertiefte Beobachtung und Analyse der
seelischen Störungen für die Psychologie des normalen Seelenlebens ein
wertvolles Hilfsmittel werden kann, das ist so selbstverständlich, daß
man darüber kein Wort zu verlieren braucht. Nicht minder klar ist es aber,
daß aus diesem Verhältnis ein Schluß auf die gesamte übrige
Medizin nicht gezogen werden kann. Die Psychiatrie ist bekanntlich derjenige
Teil der Medizin, der sich im praktrischen Betrieb wie im [12/13] akademischen
Unterricht vollständiger als jeder andere von der sonstigen Medizin
geschieden hat. Kein Psychiater wird es heute mehr unternehmen, über andere
klinische Fächer Vorlesungen zu halten oder eine über sein
Spezialgebiet hinausreichende Praxis zu treiben. Umgekehrt wird nicht minder
jeder gewissenhafte Arzt, der nicht Psychiater von Fach ist, den Geisteskranken,
der seine Hilfe in Anspruch nimmt, ohne weiteres dem Psychiater zuweisen.
Wenn nun die experimentellen Psychologen nicht bloß für
den künftigen Psychiater, sondern für jeden Arzt eine durch
psychologische Vorlesungen und die Arbeit in psychologischen Laboratorien zu
einem gewissen Abschluß gelangte psychologische Ausbildung fordern, so
werfen sie offenbar zwei sehr verschiedene Dinge in den gleichen Topf. Das ist
aber um so seltsamer, als bekanntlich die Zahl der eigentlichen Psychiater, von
denen in der Tat ein gründliches Studium der Psychologie erwartet werden
darf, nach einer annähernden Schätzung, selbst wenn man die einigermaßen
der eigentlichen Psychiatrie zugeneigten Nervenärzte hinzunehmen sollte,
kaum mehr als einige Prozent der Gesamtheit der Ärzte betragen dürfte.
Wie wenige unter diesen werden aber, als sie ihren Studiengang begannen,
entschlossen gewesen sein, Irrenärzte zu werden! Ihre Zahl dürfte wohl
durch die Zahl derer aufgewogen werden, die den irgend einmal gefaßten
Plan späterhin unter dem Drang der Umstände wieder aufgegeben haben.
Und um dieser Wenigen willen soll nun in gleichem Maße die ungeheure
Majorität der übrigen Mediziner zum Studium der Psychologie gezwungen
werden. Denn um jener Forderung Nachdruck zu geben, verlangt man die Einreihung
der Psychologie unter die Fächer des medizinischen Vorexamens! Man erinnert
sich dabei unwillkürlich an die Denkschrift, die vor kurzer Zeit eine größere
Anzahl deutscher Physiologen an das Reichskanzleramt gerichtet hat, und [13/14]
in
der sie für eine Wiederholung des physiologischen Examens
in der medizinischen Hauptprüfung eintreten, weil die Physiologie ein für
den praktischen Arzt allzu wichtiges Fach sei, um es jener Gefahr des
Vergessenwerdens auszusetzen, der die andern Naturwissenschaften der Vorprüfung
leider allzu sehr unterliegen. Unter den Argumenten, die für diesen Antrag
geltend gemacht werden, scheint mir das erheblichste dieses zu sein, daß
die große Bedeutung der Physiologie für die Praxis dem jungen
Mediziner erst in seinen klinischen Semestern zum Bewußtsein komme. Was
von der Physiologie, das gilt nun gewiß in gesteigertem Maße von der
Psychologie. Mag jene noch bei den Vorstudien zum Vorexamen durch die enge
Beziehung zu Physik und Chemie eine Stütze gewinnen und ihrerseits wieder
die Notwendigkeit dieser letzteren Gebiete für
den Arzt eindringlich machen, - wie soll bei dem Mediziner, für
den die klinischen Fälle, die
ihm das
Bedürfnis eines psychologischen Verständnisses zum
Bewußtsein bringen können, noch in unbekannter Ferne
liegen, in seinen ersten Semestern schon ein Interesse an der Psychologie
vorausgesetzt werden? Er wird, wenn er sich
nicht oben aus freier Wahl psychologischen Studien zuwendet -
und dann bedarf es für ihn keiner Examenspresse - vermutlich beim zweiten
Examen vergessen haben, was er für das erste notdürftig gelernt hat.
Das normale Verhältnis ist daher auch, wie jeder weiß, der einigermaßen
durch eigene Erfahrung mit dem medizinischen Studium vertraut ist, daß
erst im Verlauf der allgemeineren klinischen Praxis bei einzelnen Studierenden
ein besonders reges Interesse für die psychischen Störungen entsteht,
und dieses schließt dann von selbst auch das Erwachen eines solchen für
die Psychologie ein. Ist dies einmal da, so bedarf es jedoch keines
Examenszwangs mehr, der
ja überhaupt leider kein ganz entbehrlicher, aber doch überall
nur ein kümmerlicher Notbehelf ist. Gerade bei der Psychia-[14/15]trie ist
aber hier die Lage besonders günstig, weil die Entscheidung der Berufswahl
bei ihr am Ende des gewöhnlichen Studiengangs zu liegen pflegt, so daß
derjenige, der sich ihr zuwendet, ihr zumeist schon durch psychologische
Interessen zugeführt wird. Wie die Philosophie nicht notwendig Universitätsphilosophie
sein muß - Schopenhauer hat ja bekanntlich gerade diese nicht sonderlich
hoch eingeschätzt -, so verhält es sich im ganzen auch mit der
Psychologie. Vollends, wo dem ihr aus freiem Antrieb sich zuwendenden Psychiater
ein so reiches Material der Beobachtung und bei unsern heutigen Verhältnissen
durchweg auch so viel reichere äußere Mittel als dem Fachpsychologen
zu Gebote stehen, da ist wirklich nicht einzusehen, warum eine Irrenanstalt
nicht ebensogut eine Pflegestätte der Psychologie in Forschung und
Unterricht sein kann wie die Universität. In der Tat sind bekanntlich aus
der Reihe der Psychiater in neuerer Zeit mehrere Psychologen hervorgegangen, die
es an Selbständigkeit und Bedeutung ihrer Arbeiten wohl mit der Mehrzahl
der Fachpsychologen aufnehmen können. Sie sind aber zumeist rein aus freiem
Interesse und ohne in einem spezifisch psychologischen Laboratorium ihre
Schulung empfangen zu haben, zu tüchtigen Psychologen geworden.
Daß übrigens der Examenszwang überhaupt ein
Mittel von zweifelhaftem Werte und unter Umständen mehr schädlich als
nützlich ist, das ist unter denen, die Erfahrungen auf diesem Gebiete
gesammelt haben, nachgerade wohl allgemein anerkannt. Ein Zufall hat es gefügt,
daß fast zur selben Zeit, als in einer für die Selbständigkeit
der Psychologie eintretenden Schrift die Forderung einer psychologischen Fachprüfung
für das Vorexamen der Mediziner erhoben wurde, mir das Fakultätsprogramm
eines ausgezeichneten Mediziners in die Hände kam, das energisch eine
Wiederumkehr in der Überhäufung der Prüfungen mit Fächern
fordert, die für die große [15/16] Mehrzahl der Mediziner eine überflüssige
Belastung seien, weil sie sich großenteils zu Fächern ausgebildet
haben, die der gewöhnliche praktische Arzt der Behandlung der Spezialisten überlassen
muß. Dazu worden die Psychiatrie, die gerichtliche Medizin, die Hygiene,
die Ohrenheilkunde, die Nasen- und Kehlkopfpathologie gezählt. Soll nun
diese nach unten in immer größere Detailgebiete sich fortsetzende
Reihe auch noch nach oben vergrößert werden, indem man die
Psychologie anfügt, der dann konsequenterweise noch eine Menge anderer
Wissenschaften folgen müßte? So setzt die gerichtliche Medizin
juristische Kenntnisse, die Hygiene, die man gewiß unter diesen neuen Fächern
am wenigsten vermissen möchte, Bevölkerungskunde und kulturtechnische
Fächer voraus usw. Welche Folgen eine solche Überlastung der
Studierenden der Medizin mit Vorlesungen, praktischen Übungen und Staatsprüfungen
hat, davon entwirft der erfahrene Kliniker in der erwähnten Programmschrift
ein Bild, das nicht nur die schlimmsten Befürchtungen für die Zukunft
erweckt, sondern die bedenklichen Wirkungen
solcher Überlastung und Zersplitterung teilweise als
bereits eingetreten konstatiert. Der Kandidat, der von allen möglichen
Dingen etwas wissen soll, weiß schließlich von nichts etwas gründliches.
Die Folge ist eine zunehmende Oberflächlichkeit der Fachbildung, unter der
gleicherweise der ärztliche Beruf wie das Publikum leiden muß.
Zu der Klage über den Mangel psychologischer Vorbildung bei
den Vertretern anderer Gebiete gesellt sich nun aber in den Zukunftsprogrammen
der Psychologen noch eine zweite, auf die sich vor allem jene Forderung, die
Psychologie zu einer selbständigen Einzelwissenschaft zu erheben oder - wie
der Ausdruck vielleicht richtiger lauten würde - sie auf eine solche
einzuschränken, gegründet wird. Es ist die Klage, daß der
Psychologe den steigenden An-[16/17]sprüchen, die Forschung und Unterricht
an ihn stellen, weiterhin nicht mehr genügen könne, wenn er
nicht von der gleichzeitigen Teilnahme an der Vertretung der
Philosophie befreit werde. Es ist die alte Überbürdungsklage,
die
uns hier in einer neuen, etwas überraschenden Form
begegnet. Sie hat bei den Schülern unserer Gymnasien oder ihren für
die Leiden ihrer Sprößlinge empfindsamen Eltern
begonnen,
ist dann allmählich zu den Studierenden der Hochschulen
emporgeschritten; jetzt hat sie sich sogar der Philosophen
bemächtigt, der Nichtpsychologen wie der Psychologen. Ich
bekenne, daß ich die Überbürdungsklage der Schüler
und ihrer
Eltern nicht allzu sympathisch empfunden habe.
Mir ist aus
eigener Erfahrung fast kein Fall bekannt, in welchem sie
berechtigt gewesen wäre. Natürlich vorausgesetzt, daß
die Schüler
die zureichende Begabung für das einer höheren
Lehranstalt gesteckte Ziel mitbringen. Wo sie diese Begabung nicht besitzen, da
würde aber, wie ich meine, das richtige Mittel zur Abhilfe darin bestehen,
daß man solche unzulänglich begabte Schüler einen andem Beruf wählen
läßt, nicht darin, daß man das Niveau der Lehranstalt auf die
unzulänglichen Fähigkeiten einzelner ihrer Zöglinge herabsetzt.
Leider kann ich auch die Überbürdungsklage der Psychologen nicht für
gerechtfertigt halten, obgleich es selbstverständlich andere Motive sind,
die dieser Klage zugrunde liegen. Ist es doch offenkundig nicht sowohl der
Wunsch, überhaupt der Arbeit ledig zu werden, als vielmehr der andere, den
gesteigerten Ansprüchen, welche der Fortschritt der Wissenschaft an die
Leistungen des einzelnen macht, vollkommener gerecht zu worden. Aber ich halte
den Weg, der hier vorgeschlagen wird, für einen verkehrten, weil er zu
einer Loslösung der Psychologie gerade von demjenigen Gebiet der
Wissenschaft fuhren würde, das für sie das unentbehrlichste ist. Man
blicke nur auf die psychologische Literatur der letzten Jahre! Wenn man da
[17/18] von
den rein experimentellen Arbeiten die Versuchsprotokolle und
Versuchstabellen in Abzug bringt, mit denen sie oft in unglaublich
verschwenderischem Maße ausgestattet sind, so dürften schon dem äußeren
Umfange nach die in die Gebiete der Metaphysik und Erkenntnistheorie
hineinreichenden Werke und Aufsätze nahezu die Hälfte der ganzen
psychologischen Literatur ausmachen. Mit dem Verhältnis von Leib und Seele,
dem psychophysischen Parallelismus", der Anwendung des
Energieprinzips auf das seelische Leben, dem Wesen von Intelligenz und Wille,
der Frage, inwieweit das Gedächtnis in materiellen Vorgängen begründet
sei, und andern ähnlichen Dingen, von denen man doch nicht zweifeln kann,
daß sie psychologische und philosophische Probleme zugleich sind, beschäftigen
sich zahlreiche, von experimentellen Psychologen wie
von Philosophen herrührende Arbeiten. Ob die vielen
Dissertationen,
die über
den psychophysischen Parallelismus", dieses
anscheinend als Geistesgymnastik angehender Jünger der Wissenschaft
bevorzugte Thema, mehr auf Anregung von Philosophen oder von Psychologen
entstanden sind, möchte ich nicht entscheiden. Gewiß aber ist, daß
der ganze Charakter der psychologischen Literatur der Gegenwart ein Zeugnis
dagegen ablegt, daß die vollständige Trennung der empirischen oder
experimentellen Psychologie von der Philosophie in der Wissenschaft selber
bereits eingetreten sei oder mindestens als bevorstehend sich ankünde.
Nun weist man freilich darauf hin, es stehe auch ferner dem
Psychologen so gut wie jedem anderen frei, sich mit philosophischen Problemen zu
beschäftigen oder eventuell philosophische Vorlesungen zu halten. Dabei übersieht
man jedoch die innige Wechselwirkung, in der Forschung und Lehre zu einander
stehen. So wenig gerade die Philosophie notwendig an den akademischen Beruf
gebunden ist, so groß [18/19] ist doch auch hier der Vorteil, den der
akademische Lehrer daraus zieht, die Ergebnisse seiner Arbeit und seines
Nachdenkens, bevor er sie der breiten Öffentlichkeit vorlegt, vor dem
engeren Kreis seiner Zuhörer zur Darstellung zu bringen und aus solchen
Vorträgen Anregungen für die Weiterarbeit zu gewinnen. Ich kann
meinerseits bekennen, daß ich keine größere philosophische
Arbeit je in den Druck gegeben habe, ehe sie die Probe akademischer Vorlesungen
bestanden hatte. Doch dazu kommt noch ein weiterer verhängnisvoller Irrtum.
Anfänglich mag es ja, nachdem einmal die offizielle Trennung der
Psychologie von der Philosophie eingetreten ist, der philosophische Kollege
ruhig mit ansehen, wenn der Psychologe gelegentlich wie früher über
philosophische Dinge Vorlesungen hält. Aber es ist bekannt genug, daß
zumeist der akademische Lehrer die Fachgebiete, die ihm als Pflichten zugewiesen
sind, auch als seine Rechte in Anspruch nimmt. Es würde daher schwerlich
ausbleiben, daß da und dort der Philosoph den in sein Gebiet sich eindrängenden
Psychologen in seine Schranken zurückwiese, gerade so gut wie z. B. der
Physiker es sich kaum gefallen lassen würde, wenn der Chemiker des gleichen
Orts in Konkurrenz mit ihm Experimentalphysik ankündigen wollte, namentlich
wenn er auch noch Ansichten vertritt, die den seinigen diametral entgegenlaufen.
Aber sehen wir selbst hiervon ab, nehmen wir an, in der akademischen Welt greife
ein Geist der Toleranz Platz, wie er bis jetzt leider nicht erlebt worden ist,
so würden schon die Studierenden, auf die bekanntlich die Aussicht auf ein
künftiges Doktor- oder Staatsexamen eine ungeheure Attraktion mit Bezug auf
die Lehrer ausübt, die mit solchem Examen betraut sind, dafür sorgen,
daß der Psychologe dieser ihm nicht offiziell zukommenden Lehrfächer überdrüssig
würde; denn es ist eine nicht minder allgemeine Erfahrung, daß die
Neigung, Vorlesungen zu halten, be-[19/20]trächtlich abnimmt mit der Zahl
derer, die sie zu hören wünschen.
Schließlich scheint mir übrigens bei der Klage über
die Überlastung der experimentellen Psychologen noch ein anderer Irrtum
obzuwalten. Man führt die wachsende Ausbreitung des Bedürfnisses nach
psychologischem Studium in solchen Fachgebieten ins Feld, in denen dasselbe bis
dahin nicht bestand. Nun mag es sein, daß infolge dieses Bedürfnisses
in Zukunft die Zahl der Mediziner, der Juristen und gelegentlich vielleicht
sogar der Theologen in psychologischen Vorlesungen zunimmt, und daß sich
selbst einige dieser Fremdlinge in das psychologische Laboratorium verirren.
Setzen wir sogar voraus, daß der merkwürdige Gedanke eines
Examenzwanges in der Psychologie, wie er für die Mediziner vorgeschlagen
worden
ist, diese Mußhörer noch um einige zunehmen lasse,
wie soll dadurch
eine erhebliche Mehrbelastung des Professors der Psychologie
entstehen? Offenbar
liegt hier eine Art Umkehrung der Verhältnisse vor. Der
geforderten Ausdehnung der Verpflichtungen zum Psychologiestudium
soll die Arbeitszunahme des
Lehrers der
Psychologie entsprechen, die mit jener nichts oder sehr wenig zu
tun hat. Wenn statt 100 Studenten 200 zum Hören psychologischer Vorlesungen
verpflichtet sind, so steht allerdings die extensive Belastung dieser Hörer
im ganzen im Verhältnis von 1 zu 2; doch die intensive Belastung des
Dozenten bleibt dieselbe, seine Arbeit ist lohnender, aber nicht wesentlich größer
geworden. Insbesondere wird er kaum dadurch irgendwie veranlaßt sein, die
Zahl seiner Vorlesungen und Übungen irgend erheblich zu vergrößern.
Im Hinblick hierauf entsteht vielmehr das umgekehrte Bedenken, ob dem Professor
der Psychologie, nachdem er freiwillig oder gezwungen auf die Teilnahme am
philosophischen Unterricht verzichtet hat, nicht eine Entlastung von
Lehrpflichten zuteil würde, die jene Klage leicht in die [20/21]
entgegengesetzte über Beschäftigungsmangel umschlagen ließe.
Denn nehmen wir die gegenwärtigen Verhältnisse zum Maßstabe und
denken wir uns sogar die Ansprüche auf
psychologische Belehrung in Zukunft noch erheblich gesteigert,
so wird doch schwerlich ein Psychologe mehr als jährlich einmal eine
Vorlesung über das Gesamtgebiet der Psychologie halten. Diese Vorlesung in
jedem Semester zu wiederholen, wird ihm weder wegen der geisttötenden
Beschaffenheit solcher ewiger Wiederholungen wünschenswert, noch würde
sie im Hinblick auf die zu erwartenden Zuhörerzahlen erforderlich sein.
Nehmen wir also an, der Psychologe halte im Wintersemester eine vierstündige
Vorlesung über Psychologie. Im Sommer hat er dann entweder überhaupt
Feiertage, oder er kann eine kleinere Vorlesung über dieses oder jenes
Spezialgebiet der Psychologie halten. Da nun aber solche Teilvorlesungen sehr
wenig oder gar nicht besucht werden, so wird sich wahrscheinlich nur an einigen
der größeren Universitäten Gelegenheit dazu bieten. Hierzu würden
dann noch Seminarübungen kommen, die sich schwerlich auch bei günstigster
Lage der Verhältnisse auf mehr als wenige Stunden täglich, meistens
aber nur auf einige Stunden wöchentlich belaufen dürften. Man wird
wohl zugestehen, daß eine solche Professur in den Ansprüchen an ihren
Vertreter bedeutend unter dem Mittelmaß dessen stehen würde, was
innerhalb der sonstigen Lehrgebiete der philosophischen oder irgendeiner andern
Fakultät geleistet zu werden pflegt.
Wenn endlich, um die Zunahme des Psychologiestudiums zu fördern,
ein psychologisches Staatsexamen für gewisse praktische Berufszweige gewünscht
wird, so übersieht man offenbar, daß die Psychologie mindestens
gegenwärtig durchaus nicht eine derart konsolidierte Wissenschaft ist, daß
es gewisse allgemeingültige Anforderungen gibt, die an jeden Kandidaten,
von welcher Universität er auch kommen [21/22] möge, unbedenklich von
dem Psychologen einer andern gestellt werden können. Greifen wir aus der
Menge der Schattierungen, zwischen denen sich die verschiedenen Darstellungen
der Psychologie bewegen, nur die vielleicht verbreitetsten heraus, so lassen
sich als solche wohl die Richtungen der Assoziationspsychologie, der sogenannten
Apperzeptionspsychologie" und der modernen sogenannten Denkpsychologie"
bezeichnen. Unter ihnen bedarf der bekannte Begriff der Assoziationspsychologie
keiner weiteren Erläuterung. Eher dürfte eine solche für das Wort
Apperzeptionspsychologie" nötig sein. Es muß aber hier genügen,
zu bemerken, daß man mit diesem Namen meist diejenige Richtung der
Psychologie bezeichnet, welche den Begriff der Assoziation in seiner geläufigen,
auf fertige und relativ unveränderliche Vorstellungen bezogenen Form an
sich für verfehlt und einer tiefergehenden Analyse bedürftig hält,
außerdem aber für die komplexen psychischen Funktionen
gewisse, vornehmlich in den
Willensvorgängen
sich offenbarende Elemente herbeizieht. Denkpsychologie"
endlich ist in neuerer Zeit eine Richtung genannt worden, die sich vorwiegend
mit den zusammengesetzten intellektuellen Prozessen des logischen Denkens beschäftigt
und ihr charakteristisches Merkmal darin findet, daß sie diese Prozesse
ebenfalls auf experimentellem Wege zu erforschen bemüht ist. Der Begriff
des Experiments wird dabei allerdings in einer von der gewöhnlichen
ziemlich abweichenden Bedeutung gebraucht, indem man z. B. eine beliebige Frage,
auf die die sogenannte Versuchsperson antworten soll, als einen auf das Bewußtsein
ausgeübten Reiz und die Antwort als eine Reaktion auf diesen Reiz
definiert. Nehmen wir nun an, ein in der Schule der Assoziationspsychologie
herangebildeter Kandidat falle in die Hände eines Apperzeptionspsychologen,
so würde dieser sein Wissen wahrscheinlich sehr ungenügend finden,
oder ein Denk-[22/23]psychologe in die eines Assoziations- oder
Apperzeptionspsychologen, so dürfte er bei diesen schwerlich bestehen, während
umgekehrt die Schüler der letzteren vielleicht bei dem Denkpsychologen
durchfallen würden. Nun kann man freilich sagen, dies sei nicht anders mit
der Philosophie selbst. Auch ist das wohl zuzugeben, sofern man die
systematischen Fächer, wie Metaphysik, Ethik, Erkenntnistheorie usw. im
Auge hat. Doch gibt es ein Gebiet, das von dieser Relativität frei ist: die
Geschichte der Philosophie. Dies zeigt sich darin, daß, wie ich glaube
sagen zu dürfen, jeder gerechte Examinator sich mit einem ihm nach seinem
spezifischen Bildungsgang nicht genau bekannten Kandidaten nur über Fragen,
die in dieses geschichtliche Gebiet gehören, unterhalten wird. Wenn man
darauf antwortet, in der Psychologie werde dies in der Zukunft anders werden, da
sie ja mehr und mehr bemüht sei, sich exakter Methoden zu bedienen, so würde
es doch zunächst angemessen sein, diese Zukunft, die vorläufig noch
sehr in der Ferne zu liegen scheint, abzuwarten, ehe man umstürzende
Vorschläge über ihre Stellung im akademischen Unterricht macht, zu
denen gegenwärtig noch die unerläßlichste Voraussetzung, das
Vorhandensein eines allgemein gültigen Lehrstoffs, beinahe völlig
mangelt. Und damit nicht genug, darf
man doch gerade im Hinblick auf jene allgemeinen Probleme der
Psychologie, von denen oben die Rede war, und die heute wie immer in der
psychologischen Literatur eine hervorragende Rolle spielen, zweifeln, ob eine
solche auch nur halbwegs eine gemeinsame Grundlage der Diskussion herstellende
Einmütigkeit jemals entstehen werde. Was bleibt übrig, wenn man gerade
dasjenige hinwegläßt, was für den Kandidaten das Interessanteste
und für die allgemeine psychologische Bildung das Wichtigste ist? Soll man
sich etwa mit einigen auswendig gelernten Zahlen und mehr oder minder
vieldeu-[23/24]tigen,
wenn nicht bestrittenen empirischen Gesetzen begnügen? Jene
allgemeineren und darum für
die psychologische Bildung wichtigsten Fragen hängen aber
so innig mit erkenntnistheoretischen und metaphysischen
Standpunkten zusammen, daß gar nicht abzusehen ist, wie sie jemals aus der
Psychologie verschwinden sollten. Eben das zeigt deutlich, daß die
Psychologie zu den philosophischen Disziplinen gehört, und daß dies
auch nach ihrer Umwandlung in eine sogenannte selbständige Wissenschaft so
bleiben würde, da diese am
Ende doch nur von latenten und eventuell, wenn die aus der
Philosophie ausgeschiedenen Vertreter der Psychologie der
gründlicheren philosophischen Bildung ermangeln, von
unreifen
metaphysischen Anschauungen getragen sein könnte. Niemand würde
daher unter
einer solchen Trennung mehr leiden als die Psychologen und durch
sie die Psychologie. Was heute, wie
man wohl sagen darf, manche
Philosophen irrtümlich gegen sie einwenden, sie sei mehr
eine technische als eine wissenschaftliche Disziplin, das könnte in
erschreckendem Maße zur Wirklichkeit werden. Sollte
es dazu kommen, daß sich dann noch gar infolge der
fortschreitenden Arbeitsteilung der eine der Psychologen etwa mit Gedächtnisversuchen
und den zweckmäßigsten Methoden des
Auswendiglernens, der andere mit Reaktionsversuchen und ihren
individuellen Verschiedenheiten, der dritte mit der Bestimmung von
Unterschiedsschwellen, ein vierter mit Denkexperimenten ausschließlich
beschäftigte, dann wäre die Zeit wirklich da, wo sich die Psychologen
in Handwerker, aber nicht gerade in Handwerker der nützlichsten Gattung
verwandelt hätten.
Aber
Amerika? so wird hier mancher der separationslustigen
Psychologen fragen. Was wollen diese möglichen, aber
noch keineswegs wirklichen Folgen sagen gegenüber [24/25]
dem riesigen Aufschwung, den in Amerika die experimentelle Psychologie innerhalb
weniger Jahrzehnte genommen hat? Und dort sind diese Erfolge von Anfang an auf
Grund einer Trennung der Psychologie von der Philosophie, namentlich an den größeren
Universitäten errungen worden. Ich bin natürlich weit davon entfernt,
den Amerikanern ihre großen Verdienste um die Förderung unserer
Wissenschaft zu bestreiten. Wenn in Nordamerika gegenwärtig die Zahl der
psychologischen Laboratorien etwa das Zehnfache derer des gesamten Europa beträgt,
so würden selbst unter diesen wenigen manche, wie z. B. die englischen und
französischen, schwerlich, existieren, wenn die Amerikaner nicht mit so rühmlicher
Energie vorgegangen wären. Aber es ist doch nicht zu vergessen, daß
gerade im Universitätswesen der verschiedenen Länder sehr große
Unterschiede bestehen, die zum Teil in abweichenden historischen Bedingungen
begründet sind, hauptsächlich jedoch den wesentlich abweichenden Verhältnissen
der allgemeinen geistigen Kultur entsprechen. Gewiß hat darum der
Hamburgische Senat mit Recht das dereinst aufgetauchte Projekt, die neue
Hamburgische Hochschule teilweise nach amerikanischem Muster zu gestalten, gänzlich
aufgegeben. Die geplante Kolonial-Fakultät" schließt sich
ja überhaupt an kein fremdes Vorbild an, sondern sie ist ein spezifisch
Hamburgisches Produkt, und im Grunde ist sie bekanntlich mehr eine fingierte als
eine wirkliche Fakultät, da das Kollegium ihrer Lehrer im wesentlichen
zugleich den andern Fakultäten angehören wird, ebenso wie die
Vorlesungen, die sie halten, gleichzeitig unter den Vorlesungen dieser andern
Fakultäten aufgeführt worden sollen. Was von einer ganzen Universität
gilt, das gilt nun im allgemeinen auch von den einzelnen Lehrfächern, und
am allermeisten von denjenigen, die wie die Philosophie mit den Unterschieden
der nationalen Interessen in nächster [25/26] Beziehung stehen. Bei uns ist
die Psychologie, treu ihrem Ursprung aus der Philosophie, noch heute ein
wesentlich theoretisches Forschungs- und Lehrgebiet, und niemand, der die
bestehenden Verhältnisse kennt, wird, trotz dem wachsenden Interesse, das
die Anwendungen auf Pädagogik, Psychiatrie usw. finden, erwarten oder gar wünschen
können, daß dies jemals anders werde. Dazu ist die Fülle der
rein theoretischen Probleme viel zu groß, als daß sie für uns
hinter diesen praktischen Anwendungen zurücktreten könnten. Unter ganz
andern Bedingungen hat sich in Amerika die experimentelle Psychologie
entwickelt. Auf der einen Seite kamen die Einrichtungen der amerikanischen
Universitäten, deren kleinere unseren Mittelschulen sich nähern, während
die größeren wesentlich den englischen nachgebildet sind, von
vornherein der Trennung der
Psychologie von den andern philosophischen Lehrbieten zu
Hilfe, da
sowohl der Einfluß eines mehr schulmäßigen
Unterrichts wie das englische Beispiel überhaupt eine schärfere
Sonderung der einzelnen Disziplinen herbeiführte. Auf der andern Seite
griff der praktische Sinn der Amerikaner von Anfang an aus der neuen
experimentellen Bewegung der Psychologie das heraus, was bei uns eigentlich
zuletzt kam: die praktische, vor allem die pädagogische Verwertung. So ist
es gekommen, daß, während bei uns die experimentelle Pädagogik
als ein Anwendungsgebiet der Psychologie gilt, in Amerika umgekehrt die
Psychologie weit mehr die Rolle einer Vorbereitung zur Pädagogik spielt.
Das will natürlich nicht sagen, daß nicht auch in Amerika die
theoretischen Probleme von zahlreichen Gelehrten eifrig und mit Erfolg gepflegt
werden. Die Sprachwissenschaft, die Ethnologie, die verschiedensten Gebiete der
Naturwissenschaft stehen dort in hoher Blüte, und auch die transatlantische
Psychologie hat eine Anzahl tüchtiger Vertreter aufzuweisen. Doch gerade
das pädagogische Interesse, [26/27] das in Amerika die gesamte gebildete
Welt erfüllt, und das eine rühmliche Seite der amerikanischen Kultur
bildet, mußte hier von vornherein der von außen aufgenommenen und
dann auf das eifrigste selbständig gepflegten experimentellen Psychologie
mit Notwendigkeit ihre spezifische Richtung geben. Es ist sehr zu bezweifeln, ob
die neue Psychologie so rasch sich verbreitet und so zahlreiche, zum Teil glänzende
Stätten ihres Betriebs in der Neuen Welt ohne dieses pädagogische
Interesse gefunden hätte. Doch in diesen Bedingungen liegt zugleich die
ohnehin durch die Einrichtungen der Hochschulen nahegelegte fachliche Beschränkung
wesentlich mitbegründet. Ich habe nicht selten Amerikaner ihre Verwunderung
darüber aussprechen hören, daß in unseren philosophischen
Vorlesungen nicht nur alle Gruppen der sogenannten philosophischen Fakultät
vertreten, sondern auch Juristen, Mediziner und Theologen anzutreffen sind, und
daß sich einige unter ihnen sogar in psychologische Laboratorien finden.
In Amerika hört der künftige Lehrer oder der aus freiem Interesse der
Pädagogik zugewandte Gebildete psychologische Vorlesungen. Die Psychologie
ist ein spezifisches Fach, an dem der Angehörige eines andere Fachs,
abgesehen von der Pädagogik, in der Regel kein Interesse nimmt. Damit hängt
denn freilich auch zusammen, daß, während in Deutschland gerade nach
den Seiten, die mit der Völkerpsychologie in Kontakt stehen, wie in
Sprachwissenschaft, Religionswissenschaft, Ethnologie, das psychologische
Interesse bei den Fachvertretern dieser Gebiete unverkennbar zugenommen hat, in
Amerika davon noch wenig zu spüren ist. So sollten wir denn auch hier, wie
ich meine, den Amerikanern ihre Eigenart lassen und nicht Einrichtungen
nachahmen wollen, die, unter so wesentlich abweichenden Bedingungen entstanden,
ein adäquater Ausdruck der [27/28] amerikanischen
Kultur sind, der unseren aber, so gut wie
andere Seiten des amerikanischen Lebens, widersprechen würden.
Wenn die Philosophen die Psychologie schlechthin als experimentelle
Psychologie" bezeichnen, so kann man das aus dem stillschweigenden Wunsche
mancher von ihnen, sie möglichst aus der Sphäre der Philosophie zu
entfernen, einigermaßen begreifen. Daß aber die Psychologen selbst
von ihr als
einer ausschließlich experimentellen Disziplin reden, ist
schwerer
verständlich. Es gibt doch, wie auch den Psychologen
nachgerade zu Ohren gekommen sein sollte, ein Gebiet,
das man Völkerpsychologie" zu nennen
pflegt, und aus dem sich sogar wieder einzelne Sondergebiete,
wie Sprachpsychologie, Religionspsychologie, Psychologie der Gesellschaft usw.,
abgezweigt haben, die auch außerhalb des Kreises der Fachpsychologie von
Vertretern der Sprach-, Religionswissenschaft, Soziologie usw. gepflegt werden.
Daß sich die Psychologen an dieser Arbeit beteiligen, erscheint aber
offenbar nicht nur deshalb wünschenswert, ja notwendig, weil sie gegenüber
den Angehörigen der betreffenden Einzelwissenschaften die vielseitigere
Beschäftigung besonders auch mit den elementareren seelischen Erscheinungen
mitbringen, sondern vor allem deshalb, weil es keinem Zweifel unterliegen kann,
daß die höheren seelischen Funktionen des menschlichen Bewußtseins
nur auf der Grundlage dieser allgemeinen Erscheinungen der geistigen Entwicklung
erforscht werden können. Eine Psychologie des Denkens z. B. ohne eine gründliche
Vertiefung in die Psychologie der Sprache sollte nachgerade jedem Psychologen
ebensogut als [28/29] ein unmögliches Beginnen erscheinen wie den
Sprachforschern längst die Unentbehrlichkeit psychologischer Betrachtung
ihre Zwecke zum Bewußtsein gekommen ist. Natürlich darf man bei
dieser Verwertung der Sprache nicht in den groben Irrtum verfallen, das Denken
selbst mit seiner Äußerung in der Sprache zu verwechseln: sie ist
nicht anders ein Symptom der psychischen Vorgänge, wie etwa die
Muskelerregungen für den Physiologen Symptome der Innervationsvorgänge
sind. Aber diese Verschiedenheit des Symptoms von der Funktion selbst
rechtfertigt natürlich nicht, von den Äußerungen der Funktionen überhaupt
zu abstrahieren. Wer das tut, der handelt so wie der Physiologe handeln würde,
der die Vorgänge der Innervation untersuchen wollte, ohne die Erscheinungen
zu beachten, die durch diese Vorgänge in den peripheren Anhangsapparaten
des Nervensystems hervorgebracht werden. Hier erkennt man zugleich den verhängnisvollen
Einfluß, den ein Wort, wenn es über den eigentlichen Umfang seiner
Bedeutung hinaus in seinem Gebrauch erweitert wird, ausüben kann. Wenn man
die elementareren Gebiete der Psychologie die experimentelle Psychologie"
nennt und in ihr ein wichtiges Unterschiedsmerkmal von der älteren
Psychologie sieht, die sich dieses Hilfsmittels nicht bediente, so ist das gewiß
vollkommen berechtigt. Wenn man aber die ganze Psychologie die experimentelle
nennt, so ist dies ebenso gewiß eine falsche Bezeichnung, weil es Gebiete
gibt, die der Natur der Sache nach dem Experiment unzugänglich sind. Dazu
gehört in erster Linie die Entwicklung des Denkens, dazu gehören dann
aber auch eine Reihe weiterer damit zusammenhängender Entwicklungsprobleme,
wie z. B. die der künstlerischen Phantasie, des Mythus und der Religion,
der Sitte. Nun würde es unverfänglich sein, wenn die Psychologen für
das Ganze ihrer Wissenschaft, wie das ursprünglich geschehen ist, bloß
[29/30] ein
kennzeichnendes Wort nach dem wichtigsten Teil ihrer Methoden
gebrauchen wollten. Aber das tun sie wie manche Beispiele zeigen, häufig
nicht, sondern das Wort fällt ihnen mit der Sache zusammen. Sie nennen sich
experimentelle Psychologen und fühlen sich damit der Verpflichtung
enthoben, mit den über das Hilfsmittel des Experimentes hinausgehenden
Gebieten sich überhaupt zu beschäftigen, oder sie behandeln sie, was
schlimmer ist, ebenfalls experimentell. So ist die sogenannte experimentelle
Denkpsychologie entstanden. Ihre geläufigste Methode besteht darin, daß
sie in der Versuchsperson" durch eine Frage, eine Behauptung oder
eine auffallende Handlung einen Gedankenprozeß anregt und diesen
aufzeichnet oder, wenn sich keiner vorfinden sollte, über ihn reflektiert
und diese Reflexion über die Sache für
die Sache
selbst nimmt.
Daß die Experimente bei solchen Denkversuchen überhaupt
keine
Experimente im wissenschaftlichen Sinne sind, braucht kaum
gesagt zu werden. Sie ergeben sich aber als eine natürliche Folge, wenn das
Experiment auf Probleme angewandt wird, auf die es der Natur der Sache nach überhaupt
nicht anwendbar ist.
Nun kommt freilich die geflissentliche Abstraktion von den der Völkerpsychologie
anheimfallenden Problemen oder ihre Annexion durch die experimentelle
Psychologie der Behauptung, diese sei von der Philosophie unabhängig, zu
statten namentlich wenn man die gegenwärtig bei Philosophen wie Psychologen
verbreitete pragmatische Maxime zu Hilfe nimmt: jede Voraussetzung ist zulässig,
wenn sie praktisch brauchbar ist. Aber mag man sich damit allenfalls den
Fallstricken der Erkenntnistheorie und Met[h]aphysik, die den Zugang zu den
Grundproblemen der Psychologie umgeben, zu entwinden meinen, mit den Problemen
des seelischen Gemeinschaftslebens, die doch zugleich mitten hinein in die
prak-[30/31]tischen Anwendungen der Psychologie führen, steht es anders.
Wie sollte die Religionspsychologie dem Kontakt mit der Religionsphilosophie,
wie die Psychologie der Sitte dem mit der Ethik aus dem Wege gehen? Wenn die
Auseinandersetzung mit der Erkenntnistheorie den Anfang einer jeden
wissenschaftlichen Psychologie bildet, die nicht auf der Oberfläche zufällig
aneinandergereihter Beobachtungen stehen bleiben will, so mündet letzten
Endes die Psychologie notwendig in jene Zweiggebiete der Philosophie ein, und
nur dadurch kann sie mit Recht den Anspruch erheben, eine Grundlage der
Geisteswissenschaften überhaupt zu sein. Nun hat man allerdings
gelegentlich behauptet, eben das, was die Psychologie zu tun im Begriff stehe,
die Loslösung von der Philosophie, werde sich in mehr oder minder naher
Zukunft auch bei diesen Sondergebieten der Philosophie ereignen: die Ethik samt
Soziologie und Rechtsphilosophie werde ein Teilgebiet der Jurisprudenz, die
Sprachphilosophie und psychologie ein solches der Grammatik und
Sprachgeschichte werden, die Religionsphilosophie und -psychologie sei der
Theologie anzugliedern. Sollte dies Programm jemals verwirklicht werden, so würde
das allerdings die extremste Ausführung des Prinzips der Arbeitsteilung
sein, die zugleich eine Auflösung jener Arbeitsgemeinschaft der
Wissenschaften bedeuten würde, in deren Vertretung gegenüber der
Teilung der Sonderaufgaben bis dahin die Philosophie ihren Beruf gesehen hat.
Dann würde in der Tat die Philosophie selbst zu einer Sonderdisziplin
geworden sein, und der vormalige Philosoph könnte nun als abstrakter
Erkenntnistheoretiker, unbekümmert um den Gang der positiven
Wissenschaften, in der einsamen Höhe voraussetzungsloser Spekulation
thronen. Über allzu große Belastung könnten dann freilich beide
Teile kaum mehr klagen. Wohl aber würde sich vielleicht diesem und jenem
die Frage [31/32] aufdrängen, was denn eine Erkenntnistheorie bedeute, die
sich um die wirklichen Inhalte und Methoden des wissenschaftlichen Erkennens
nicht kümmert, und was eine Psychologie wert sei, die von den wichtigsten
Erscheinungen des menschlichen Seelenlebens abstrahiert.
Man darf wohl
annehmen, daß solche Konsequenzen den meisten Verteidigern des
Trennungsprojekts der Psychologie von der Philosophie, mögen sie nun
Philosophen oder Psychologen sein, ferne liegen; aber daß sie teilweise
wenigstens eintreten würden, liegt in der unerbittlichen Konsequenz der
Tatsachen selbst. Gerade darin, daß die Psychologie eine Teilwissenschaft
der Philosophie und zugleich eine empirische Geisteswissenschaft ist, liegt ihr
Wert für beide Teile, für die Philosophie wie für die empirischen
Einzelwissenschaften, die hauptsächlichste Vermittlerin zwischen beiden zu
sein. Leicht könnte es daher kommen, daß, wenn den heute in dem
gleichen Wunsch nach Scheidung vereinigten Parteien dieser erfüllt würde,
sie sich in der Lage des Ehepaares in dem Märchen von den drei Wünschen
befänden und auf das sehnlichste den alten Zustand wieder herbeiwünschten.
Würde aber auch die von beiden Parteien einmütig,
wenngleich aus ganz entgegengesetzten Motiven erhobene Forderung weder der einen
noch der andern zum Heil gereichen, so läßt sich doch nicht
verkennen, daß die neuere Entwicklung unserer Universitäten Mißstände
herbeigeführt hat, die eine Beseitigung wünschenswert machen, nur
freilich auf ganz anderem Wege, als es durch die vorgeschlagene Ausscheidung der
Psychologie geschehen würde. Zunächst ist nicht zu übersehen, daß
dem ungeheuren Wachstum der philosophischen Fakultäten und der Erweiterung
auch der im engeren Sinne philosophischen Lehrgebiete die Zahl der diesen
Gebieten zugeteilten Lehrkräfte nicht mehr entspricht. Zwei Wege gibt es,
auf denen diesem Mangel abgeholfen [32/33] werden kann, und die wohl teilweise
auch an manchen Universitäten bereits eingeschlagen worden sind. Der eine
besteht in einer Vermehrung der ordentlichen Professuren der Philosophie; der
andere, leichter zugängliche, der darum vor allem ins Auge zu fassen wäre,
in der Herbeiziehung von Extraordinarien zu bestimmten Lehrfächern unter
gleichzeitiger Teilnahme an den Doktor- und Staatsprüfungen. Durch unsere jüngere
Dozentenschaft geht heute das Streben nach einer Erweiterung der Rechte, die über
das bisherige, im allgemeinen auf das Halten von Vorlesungen und Übungen über
bestimmte Gebiete beschränkte Maß hinausreicht. Ich halte es für
einen Fehler dieser Bewegung, daß sie nicht in erster Linie die
Bereitwilligkeit zur Übernahme von Pflichten betont, ohne die doch
irgendwelche Rechte, z. B. das Recht der Teilnahme an Fakultätssitzungen,
immer nur Scheinrechte sein werden. Recht und Pflicht gehören zusammen, wie
im sonstigen, so auch im akademischen Leben. Auf der andern Seite ist namentlich
die Überlastung mit Prüfungen und Beurteilungen von Dissertationen
eine ständige Klage der Professoren, namentlich auch derer der Philosophie
geworden. Was liegt da näher, als daß die Unterrichtsbehörde
nach beiden Seiten Abhilfe schafft, indem sie die älteren und erfahreneren
Extraordinarien zur Teilnahme an diesen Arbeiten heranzieht? Hand in Hand damit
müßte aber ein Lehrauftrag für solche Fächer gehen, die
durch die ordentlichen Professoren nicht oder nicht in zureichender Weise
vertreten sind. Hierdurch würde ein doppelter Vorteil entstehen: die
Entlastung der akademischen Lehrer von Nebenarbeiten zugunsten einer freien
wissenschaftlichen Arbeit, zu der jedem, wenn er nicht der Gefahr des
Stillstandes ausgesetzt sein soll, Gelegenheit gegeben sein muß, und die
größere Vielseitigkeit des akademischen Unterrichts selbst durch die
Heranziehung einer größeren Zahl von Lehrkräften.[33/34]
Ein zweiter Übelstand besteht darin, daß bei
Besetzung der philosophischen Lehrstühle nicht selten die wünschenswerte
Rücksicht auf die wechselseitige Ergänzung der Lehrgebiete vermißt
wird. Die meiste Schuld an diesem Übelstand tragen die philosophischen
Fakultäten selbst und vor allem ihre Berater, die Professoren der
Philosophie, die, wenn ein Kollege ausscheidet, in der Regel einen ihnen
gleichgesinnten zu gewinnen suchen, der die nämliche Richtung verfolgt und
infolgedessen meist auch die gleichen Lehrgebiete bevorzugt. Dies führt zu
lokalen Schulen oder wenigstens zur Berücksichtigung einseitiger
Richtungen. Dem kann teilweise schon durch die Heranziehung der Extraordinarien
zum regelmäßigen Unterricht, noch mehr aber durch eine grundsätzliche
Verteilung der Hauptgebiete an die Ordinarien vorgebeugt werden, natürlich
ohne daß damit eine Beschränkung auf
diese Hauptgebiete für
sie verbunden sein soll. Für jede der größeren
Universitäten werden mindestens drei ordentliche Professuren erforderlich
sein, deren eine hauptsächlich den systematischen Fächern, die zweite
der Geschichte der Philosophie zugewandt wäre, indes als drittes Gebiet die
Psychologie eine Vertretung erheischt, wobei jedoch nicht minder der Historiker
in seinem Unterricht in die systematischen, wie der Psychologe in diese und in
die historischen Fächer nach freiem Ermessen übergreifen könnte.
Dabei wurde dann von selbst jene notwendige Vielseitigkeit der Richtungen
entstehen, die bis zu einem gewissen Grade stets an jene Hauptgebiete gebunden
ist. Wird doch schon der Historiker den systematischen Problemen gegenüber
zumeist eine etwas andere Stellung einnehmen als der reine Systematiker, und
noch mehr dürfte dies für den Psychologen gelten. Wie förderlich
aber eine solche Mannigfaltigkeit durch die fruchtbare Wechselwirkung der
Bestrebungen sein kann, zeigt gerade in der Philosophie das Beispiel mancher
Hoch-[34/35]schulen, an denen ein solch harmonisches Zusammenwirken jahrelang
bestanden hat, zum Vorteil der Schüler wie der akademischen Lehrer selbst.
Für kleinere Universitäten würde an Stelle des einen Ordinariats
eventuell auch die Besetzung mit einem Extraordinarius ausreichen,
vorausgesetzt, daß man ihm die erforderliche Teilnahme an den Übungen
und Prüfungen gewährt, sowie die besonderen Lehrmittel seines Gebietes
zur Verfügung stellt. Den Klagen der Philosophen wie der Psychologen, daß
gegenwärtig den jüngeren Dozenten ihres Fachs die Aussicht auf
Weiterkommen durch die Konkurrenz mit den Vertretern anderer Gebiete geschmälert
sei, würde schließlich durch diese Einrichtung mindestens ebenso
abgeholfen sein, wie durch die begehrte Ausweisung der Psychologie aus der
Philosophie und ihre Erhebung zu einer selbständigen Wissenschaft.
Es ist schwerlich zu befürchten, daß sich die
Regierungen beeilen werden, den Wünschen der Philosophen und der
Psychologen, die auf Scheidung dringen, zu willfahren. In der Theorie lassen
sich ja solche grundstürzende Reformpläne leichter ausführen als
in der Praxis, und der Praktiker fühlt sich in höherem Grade
verpflichtet, die Konsequenzen derartiger Maßregeln nach allen Seiten zu überlegen
als der Theoretiker, der leicht diejenigen möglichen Folgen übersieht,
die seinen eigenen Wünschen widerstreiten. Nehmen wir aber einmal an, die
Unterrichtsbehörden seien ohne weiteres bereit, diesen Wünschen zu
willfahren, so wird niemand, auch unter den Unterzeichnern der die Scheidung
beantragenden Erklärung, so kühn sein zu erwarten, daß sofort an
allen deutschen Universitäten separate Lehrstühle für die
Psychologie, ausgerüstet mit den erforderlichen Laboratoriumsmitteln,
errichtet werden. Ist es doch bekannt [35/36] genug, daß z. B. in Preußen
nur vier bis fünf sehr bescheiden ausgestattete psychologische Laboratorien
gegenwärtig existieren, von denen einzelne sich kaum über das Niveau
einer Sammlung von Demonstrationsmitteln erheben. In Heidelberg und Freiburg und
meines Wissens auch in Tübingen und an der Gesamtuniversität Jena sind
überhaupt keine vorhanden. Bayern besitzt ein einziges Institut, ein
zweites soll in München demnächst errichtet werden. Daß unter
diesen Umständen die deutschen Regierungen sofort an der großen
Mehrheit der Universitäten, die bis jetzt der notwendigen Voraussetzungen für
den Betrieb solcher Laboratorien entbehren, die Mittel hierzu bereitstellen
werden, ist um so unwahrscheinlicher, als selbstverständlich ein Philosoph,
der, wie bisher, gewissermaßen im Nebenamte die Psychologie vertritt und
ein psychologisches
Seminar leitet, sich eventuell mit viel bescheideneren Mitteln für
die Ausstattung des letzteren begnügen wird als ein reiner Psychologe.
Sicherlich würde daher ein Staat, der, wie der preussische,
über eine bedeutende Anzahl von Universitäten verfügt, höchstens
an einigen wenigen der größeren mit solchen Gründungen den
Anfang machen, um zuzusehen, wie sie sich bewähren, ehe er mit einer so
erheblichen Anforderung, wie sie in der Ausstattung aller seiner Hochschulen mit
Laboratorien für einen exklusiven Fachpsychologen bestehen würden, an
den Staatshaushalt herantritt. Nur ein Enthusiasmus, der den Boden der
Wirklichkeit unter den Füßen verloren hat, kann sich aber der
Hoffnung hingeben, daß die Probe, die man auf solche Weise in einzelnen Fällen
anstellte, gelingen und zu weiteren Gründungen auffordern werde. Wer irgend
die aus der Gegenwart geschöpfte Erfahrung, nach der wir doch überall
zunächst unsere Pläne für die Zukunft einrichten sollten, zum Maßstabe
nimmt, der weiß, daß der wesentlichste Teil der Wirksamkeit des
Psychologen heute daran [36/37] gebunden ist, daß er zugleich in
Vorlesungen wie in Staats- und Doktorprüfungen Philosoph ist. Die isolierte
Psychologie würde also unausbleiblich zu einem Nebenfach werden. Man würde
sich schwerlich entschließen, sie z.
B. ab sogenanntes Bildungsfach" neben der Philosophie
in die
Prüfungen unserer Oberlehrer aufzunehmen. Nicht minder würde
es unzulässig sein, sie etwa als solches im Wechsel mit der Philosophie
oder zur Auswahl zwischen ihr zuzulassen. Überdies ist es an sich klar, daß
eine solche vorläufig und vermutlich für lange Zeit allein zu
erwartende Einschränkung der experimentellen Psyschologie auf wenige
Hochschulen ebenso die Verbreitung der Beschäftigung mit ihr wie des
Interesses an ihr beeinträchtigen müßte. Wenn, wie
voraussichtlich, die Regierungen derart vereinzelte Lehrstühle als eine
vorläufige Probe betrachten sollten, so ist es daher sehr möglich, daß
man in kurzer Zeit diese Probe für nicht bestanden erklärte.
Unzweifelhaft aber ist es, daß dadurch die Psychologie selbst nicht gefördert,
sondern auf das schwerste geschädigt würde. Denn, wenn man annehmen
darf, daß als das stillschweigende Motiv in der Erklärung der
Philosophen der allzu einseitige und gelegentlich in der Tat an das Handwerkmäßige
erinnernde Betrieb der experimentellen Psychologie der Vater des Wunsches
gewesen ist, sich ihrer ganz zu entledigen, so kann diese Entartung zum Handwerk
durch nichts mehr gefördert werden als durch die Trennung. Wenn die
Philosophen wirklich von den wohlwollenden Gesinnungen für die Psychologie
erfüllt sind, die die Erklärung ausspricht, so sollten sie demnach
genau das Gegenteil von dem beantragen, was sie tatsächlich vorschlagen,
und womöglich selbst danach handeln. Man lasse schon zur Habilitation
keinen Kandidaten zu, der bloßer Experimentator und nicht zugleich ein
psychologisch wie philosophisch gründlich durchgebildeter [37/38] und von
philosophischen Interessen erfüllter Mann ist; und die
Philosophen wie nicht minder die Psychologen selbst sollten
darauf hinwirken, daß die Fakultäten bei der Vakanz
philosophischer Lehrstühle, denen die Hauptvertretung der Psychologie
zugewiesen ist, nur Männer vorschlagen, die zugleich eine wirksame und
selbständige Vertretung philosophischer Lehrfächer übernehmen können.
Zurück zur Startseite.