[Text nach: Die Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Festschrift für Kuno Fischer.
Zweite verbesserte Auflage; Heidelberg 1907. Carl Winter's Universitätsbuchhandlung.; S. 183-207]




Logik.



Von Wilhelm Windelband.




Wenn man die reiche Entwicklung und die in weiten Gegensätzen sich auseinanderlegende Entfaltung übersieht, welche die Logik im 19. Jahrhundert erfahren hat, so denkt man unwillkürlich an Kants eigenartige Stellung zu dieser Wissenschaft. Man erinnert sich, wie er die allgemeine Logik, die er auch die analytische oder wohl die formale nannte, für ein so festgefügtes Ergebnis der Arbeit von zwei Jahrtausenden erklärte, daß daran nur noch Geringfügiges zu ergänzen und zu verbessern sei, und wie er daneben als ein völlig Neues seine transzendentale Logik stellte, die erkenntnistheoretische, die er wiederum so vollständig, so sicher in ihrer systematischen Geschlossenheit festgestellt zu haben überzeugt war, daß auf ihr nur noch der Bau einer Metaphysik der Erscheinungen aufgeführt zu werden brauchte. Das kritische Geschäft sollte, wie das formale abgeschlossen und der Philosophie nun endlich das doktrinale eröffnet sein.

Aber gerade das Verhältnis dieser beiden, Kants Absicht nach völlig getrennten Systeme der logischen Lehren ist das Ferment gewesen, das in die Untersuchungen über das Wesen des wissenschaftlichen Denkens die gewaltigste Gärung gebracht und eine Fülle von neuen Bewegungen ausgelöst hat, in deren noch nicht im geringsten ausgeglichenen Gegensätzen wir heute stehen.

Die allgemeine Logik sollte von den analytischen Formen des Denkens handeln, nach denen der Verstandesgebrauch von jedem beliebigen Begriffe aus, was auch dessen einmal gegebener Inhalt sein mag, in allgemein und notwendig gültiger Weise fortzuschreiten berechtigt und verpflichtet ist: die synthetischen Formen der transzendentalen Logik dagegen sollten die Verknüpfung der Wahrnehmungsinhalte zu Gegenständen der Er-[183/184]fahrung in einer auch ihrerseits allgemein und notwendig geltenden Weise regeln. So energisch deshalb Kant die Versuche der rationalistischen Metaphysik ablehnte, die aus den Grundsätzen der formalen Logik und speziell aus dem sie alle beherrschenden Satz des Widerspruchs eine sachliche Erkenntnis vom Wesen der Dinge und von ihren Beziehungen ableiten wollte, - ebenso energisch behauptete er gegen den Empirismus und den Skeptizismus, der dessen ehrliche Konsequenz ist, die gegenständliche Geltung der synthetischen Denkformen für den ganzen Umkreis der Erfahrung. Den analytischen Formen der allgemeinen Logik entzog er jede sachliche Erkenntniskraft und beschränkte ihren Sinn auf eine Polizei des korrekten Denkens über jeden beliebigen Inhalt: den synthetischen Formen der transzendentalen Logik dagegen schrieb er für die gesamte Erscheinungswelt den konstitutiven Wert zu, den die alte Metaphysik den analytischen Formen für die Dinge an sich zugesprochen hatte.

Allein die beiden Systeme der Logik waren bei Kant an dem entscheidenden Punkte miteinander verwachsen: die Tafel der Kategorien entwickelte sich an der der Urteile. Und diese Beziehung zwischen beiden wurde früh als eine künstliche und nicht stichhaltige erkannt. An diesem Punkte spaltete sich deshalb die folgende Entwicklung: auf der einen Seite wurde Kants schöpferisches Prinzip der transzendentalen Logik anerkannt und zu einheitlicher Durchführung gebracht, dazu aber eine völlige Revision der alten, allgemeinen Logik und die Gestaltung eines ganz neuen Systems dieser Wissenschaft Schritt für Schritt mehr als erforderlich befunden; auf der anderen Seite gab man unter der Herrschaft der alten Lehre den Gedanken der transzendentalen Logik wieder auf und bildete nun mit vollem Bewußtsein die Logik zu einer rein formalen Disziplin aus. Das eine taten Fichte, Schelling, Schleiermacher und Hegel, das andere (neben den unbedeutenderen Kantianern) Herbart, - dieser als der konservative Denker, der zu Leibniz und Wolff zurückgriff, jene als die fortschreitenden Genien, die vor einer vollständigen Revolution der Logik nicht zurückschreckten. Für Herbart blieb deshalb die Logik eine regulative Wissenschaft, welche lediglich die Formen für die Bearbeitung der Begriffe festzustellen und in dem Prinzip der Widerspuchslosigkeit ihre höchste Norm aufzustellen hatte; für die Fichte folgende Entwicklung wuchs sich die Wissenschaftslehre zu [184/185] einem System sachlicher Prinzipien und gegenständlicher Erkenntnisse aus und fiel die Logik schließlich bei Hegel vollständig mit der Metaphysik zusammen. So begründet sich der Gegensatz der formalen und der erkenntnistheoretischen Logik, der sich durch das ganze Jahrhundert hindurchgezogen hat.

Es liegt in der Natur der Sache, daß dabei das geringere Maß von Fruchtbarkeit und Entwicklungsfähigkeit auf der Seite der formalen Logik gewesen ist. Denn die Besinnung auf die Regeln des korrekten Denkfortschritts, die Technik des richtigen Denkens, ist in der Tat von der früheren Philosophie unter den Voraussetzungen der naiven Weltansicht zu einer hohen Vollkommenheit gebracht worden. Was Aristoteles in genialem Wurf geschaffen, ist im späteren Altertum und im Mittelalter mit feinster Filigranarbeit ausgestaltet worden: eine Beweis- und Widerlegungskunst, die in der Theorie des Schlusses gipfelt und die von da aus rückwärts die Lehre vom Urteil und vom Begriff konstruiert hat. An diesem sicher gefügten Bau ist, wenn man einmal die Grundlagen angenommen hat, nicht zu rütteln: er kann nur hier und da verfeinert und vielleicht neuen wissenschaftlichen Bedürfnissen adaptiert werden. Hat doch auch Bacons Neues Organon seine Theorie der Induktion ganz auf dem Boden des alten aufgeführt. Demgemäß haben sich denn auch die formal-logischen Arbeiten der Kantianer und Herbartianer auf Kleinigkeiten in der Ausbesserung des Systems, auf Fixierung der Terminologien, auf Ausspinnung des Schematismus der Schlußlehre und in der Hauptsache auf eine didaktische Vervollkommnung des Vortrages beschränken müssen. Als die beste, durch glückliche Anordnung des Ganzen, scharfsinnige Ausführung des Einzelnen, zweckmäßige und reichhaltige Auswahl von Beispielen ausgezeichnete Lösung dieser Aufgabe darf noch heute die oft aufgelegte Darstellung von Drobisch angesehen werden.

Es ist nicht zufällig, daß gerade in dieser die Analogie zwischen logischen und mathematischen Formen besonders deutlich zutage tritt und geflissentlich hervorgehoben wird, oder daß z. B. die mühsam scharfsinnigen Ausführungen der Möglichkeiten, die sich bei der Aneinanderreihung von Prosyllogismen und Episyllogismen ergeben, an der Hand der Variations- und Kombinationsrechnung entwickelt werden. In der Tat muß die rein formale Logik einer natürlichen Neigung folgen, die sie [185/186] dahin führt, ihre Formen in mathematische Formeln umzuprägen und ihre Begründung in mathematischen Verhältnissen zu suchen. Denn wie es schon Hobbes im siebzehnten und präziser noch Condillac im achtzehnten Jahrhundert ausgesprochen hat, die ganze Arbeit dieser formalen Logik läuft schließlich darauf hinaus, die Verhältnisse, festzustellen, welche zwischen gegebenen Begriffen vermöge der partiellen Gleichheit ihres Inhalts sich für die Einordnung und Unterordnung ihrer Umfänge ergeben. Daher ist der Satz der Identität, bezw. das Verbot des Widerspruchs ihr oberstes Prinzip und ihr ganzes Geschäft analytisch: es handelt sich darum, die Begriffe in ihre Merkmale zu zerlegen und durch die Vergleichung dieser Merkmale das Verhältnis ihrer Umfänge zu bestimmen. Das ist an sich deutlich und wird durch die aristotelische Syllogistik bestätigt, die in dieser Hinsicht durchaus auf dem formalen Standpunkte steht. Danach wird jedes Urteil auf den Ausdruck des Umfangverhältnisses von Subjekt und Prädikat reduziert; die Quantität der Urteile ist das Wesentliche und die Qualität nur die Entscheidung darüber, ob und in welchem Maße der Umfang des einen Begriffs in den Umfang des anderen eingeordnet werden soll. So wird das Denken, das Urteilen und Schließen ein „Rechnen mit Begriffen", das Urteil nimmt den Charakter einer Gleichsetzung an, und aus der Formel A ist B wird die andere A = B. Aus den zahlreichen Verhältnissen zwischen Subjekt und Prädikat, welche die Kopula mehr anzudeuten als auszusprechen vermag, ist nur das eine der Gleichheit übriggeblieben. Ein Hülfsmittel der Darstellung soll das Wesen der Sache bedeuten.

Diese Folge der analytischen Betrachtungsweise tritt vielfach schon in den logischen Theorien des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts zutage: die volle Konsequenz daraus hat erst die englische Logik des neunzehnten Jahrhunderts seit George Bentham und Sir William Hamilton gezogen, die mathematische Logik, die mit ihrer - von diesem Standpunkt aus sehr konsequent gedachten - Quantifikation des Prädikats alle Urteile wirklich in korrekte Umfangsgleichungen verwandelt und danach das ganze System der Folgerungen und Schlüsse von der Umkehrung der Urteile an bis zu komplizierten Syllogismusketten aus arithmetischen Prinzipien der Gleichheit und der Substitution als ein wohlgefügtes Ganzes zu entwickeln [186/187] vermag. Schade nur, daß aus diesem schönen System der lebendige Sinn aller Urteile, die ein sachliches Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat zu behaupten oder zu verneinen berufen sind, rettungslos unter den Tisch fällt. Als ob wir über nichts Besseres nachzudenken hätten als darüber, in welcher Ausdehnung der Umfang des Begriffes A dem des Begriffes B einzuordnen ist! Das ist eine Logik des grünen Tisches, mit der die lebendige Arbeit der Wissenschaft nichts anzufangen weiß.

In Deutschland hat dieser logische Sport, dem das Verdienst einer Übung formalen Scharfsinns nicht abzusprechen ist, wenig Anklang gefunden: hier und da ist man auf die Bedeutung dieser Analogien für arithmetische Lehren aufmerksam geworden; im ganzen wurde die Sache von den Logikern abgelehnt. Wundt hat in seiner Logik diesem Algorithmus der logischen Formen ein eigenes Kapitel gewidmet, aber dabei mit einiger Kühle erklärt, daß das Studium dieses Kapitels nicht unerläßlich sei.

So wenig wie dieser Versuch der Arithmetisierung der Logik ist der der Geometrisierung gelungen, den Albert Lange in seinen posthum von Cohen herausgegebenen Logischen Studien gemacht hat. Er wollte den Geltungsgrund formal-logischer Gesetze in den ursprünglichen Notwendigkeiten räumlicher Anschauung finden, wie er in dem glücklichen Beispiel der Disjunktion die logischen Verhältnisse darauf reduzierte, daß ein Punkt, der in ein Ganzes fällt, nur einem seiner Teile angehören kann, aber auch einem dieser Teile angehören muß. Auch hier liegt die Verwechselung eines erfolgreichen Veranschaulichungsmittels mit dem Wesen der Sache deutlich zutage. Die bekannten Kreiszeichnungen, mit denen man seit langem (vielleicht schon seit dem Altertum) die Regeln der Syllogistik zu illustrieren gewohnt ist, sollten nicht nur den eigentlichen Sinn der logischen Formen, sondern auch in letzter Instanz ihren Rechtsgrund enthalten. Auch dieser Versuch, die logische Gesetzmäßigkeit auf der mathematischen aufzubauen, die Prinzipien des Denkens aus denen des Anschauens abzuleiten, darf heute als aussichtslos bezeichnet werden.

Dagegen zieht sich durch alle diese Umbildungen der formalen Logik und durch alle Darstellungen der traditionellen Lehre, z. B. bei Ulrici, Ueberweg und Benno Erdmann, aber auch [187/188] bei Herbartianern wie Lott, eine gemeinsame, wenn auch nicht immer gleich deutlich ausgesprochene Neigung, das logische Grundphänomen im Urteil zu suchen und das alte Schema des Aufbaus der formalen Logik zu verlassen, worin man, durch sprachliche Analogien und grammatische Theorien irregeleitet, vom Begriff zu beginnen und von da zum Urteil, dann zum Schluß und weiter zu den „systematischen Formen des Denkens" aufzusteigen pflegte. Diese Anordnung mochte praktisch sein, solange die logischen Untersuchungen ihre letzte Instanz in der Frage hatten, wie man etwas beweisen oder widerlegen könne: aber sie versagte, sobald man über die Kriterien formaler Korrektheit hinaus nach der sachlichen Verwendbarkeit und der inhaltlichen Fruchtbarkeit der Denktätigkeiten für die Zwecke des Erkennens fragte. Und dieser Frage mochten sich doch auch gerade jene selbständigeren Vertreter der formalen Logik nicht entziehen.

Es kam entscheidend hinzu, daß auch die erkenntnistheoretische Logik von Kant auf die Urteilslehre als ihren Ausgangspunkt gewiesen war. Das System der Kategorien sollte auf dem der Urteile beruhen. Kant hatte der formalen Logik zugetraut, das letztere mit Sicherheit festgestellt zu haben: aber diese seine Voraussetzung wurde durch die Entwicklung der Kategorienlehre von Fichte bis Hegel über den Haufen geworfen, und so ist die Forderung nach einer neuen Urteilslehre die Grundfrage der heutigen Logik geworden.

Sie rechtfertigt sich systematisch gegenüber der früheren Einteilungs- und Behandlungsweise der Logik auf das einfachste und einleuchtendste. Es ist deutlich und, sobald man es sich klar macht, selbstverständlich, daß ein Begriff seinen logischen Sinn und seine logische Geltung immer nur durch ein Urteil erhalten kann, in welchem die Zusammengehörigkeit seiner Merkmale in allgemein gültiger Weise erkannt und behauptet worden ist. Deshalb kann die logische Lehre nicht prinzipiell die Begriffe als Voraussetzungen der Urteile, sie maß sie wesentlich als die allgemeingültigen Ergebnisse der Urteile behandeln. Nur bei den verwickelten Formen des Erkennens stößt sie auf solche Operationen des Denkens, bei denen früher durch Urteile begründete Begriffe als Voraussetzungen neuer Urteile verwendet werden. Um mit Kantischen Ausdrücken zu reden: analytische Urteile sind erst dann berechtigt, wenn die Begriffe, [188/189] von denen sie ausgehen, durch synthetische Urteile begründet worden sind. Der Begriff ist nur ein Durchgangsprodukt oder ein festgehaltener Niederschlag aus dem Erkenntnisprozeß, der in Urteilen besteht. - Anderseits ist der Schluß in allen seinen deduktiven wie induktiven Formen nichts anderes als eine Art der Begründung von Urteilen und hat seinen logischen Sinn lediglich in diesem seinem Zweck. Der ganze Apparat der traditionellen Syllogistik ist eine größtenteils an sprachliche Formen gebundene Lehre, wie man Urteile durch andere schon geltende Urteile begründen oder widerlegen kann. - Die Lehre vom Begriff und die Lehre vom Schluß sind daher nur einzelne Auszweigungen der Lehre vom Urteil: diese ist das Hauptproblem der Logik. Das dürfen wir jetzt als einheitliche Grundlage für die zukünftige Ausgestaltung dieser Wissenschaft ansehen. Logik ist Urteilslehre.

Aber philosophische Urteilslehre! Das muß besonders hervorgehoben werden: denn es hat sich keineswegs immer und überall von selbst verstanden. Urteilen ist eine seelische Tätigkeit; worin sie besteht und was dabei vorgeht, bildet somit einen Gegenstand der Psychologie. Sie hat es zu beschreiben und die dabei ablaufenden Prozesse nach Assoziations- und Apperzeptionsgesetzen zu erklären. Diese psychologische Vorarbeit sollte die Logik am Urteil ebenso als erledigt voraussetzen dürfen, wie die Ethik die empirische Kenntnis und das theoretische Verständnis der Willensfunktionen ihrer Untersuchung zugrunde zu legen hat. Aber die Psychologie ist bekanntlich keine fertige, vielmehr gerade in unseren Tagen eine zwischen sehr verschiedenartigen Antrieben ihre methodische und sachliche Einhelligkeit erst suchende Wissenschaft. Daraus ergibt sich für den Logiker die Notwendigkeit, zu den psychologischen Auffassungen des Urteils selber erst Stellung zu nehmen; er kann keine allgemein anerkannte Definition des Urteils übernehmen, sondern muß die bestehenden revidieren, um seinen Ausgangspunkt zu gewinnen.

Aus diesem unvermeidlichen Verhältnis ergibt sich nun aber die große Gefahr der Verquickung logischer mit psychologischen Untersuchungen. Muß der Logiker von psychologischen Analysen dessen, was im Urteil wirklich geschieht, ausgehen, so schieben sich ihm leicht unvermerkt die dabei gewonnenen Gesichtspunkte auch als Kriterien für die logische [189/190] Behandlung der Sache unter, und ist der entscheidende Differenzpunkt einmal verfehlt, so droht die ganze Logik nur eine Auszweigung der Psychologie zu werden, wie es früher zum Beispiel von Beneke verlangt und ausgeführt worden ist. Die feste Abgrenzung gegen diesen Psychologismus ist eine Lebensfrage für die Logik als philosophische Disziplin. Aber so lebhaft von vielen Seiten dies Bedürfnis nach einer prinzipiellen Scheidung von Logik und Psychologie empfunden und ausgesprochen wird, so wenig dürfen wir heute behaupten, daß es in einer vollkommen genügenden Form erfüllt worden wäre. Denn es genügt dazu nicht, daß man im allgemeinen den normativen Charakter der Logik mit Emphase betont, daß man sich auf die fundamentale Unterscheidung dessen, was wirklich geschieht, und dessen, was geschehen soll, auch für das Urteilen besinnt; es genügt auch nicht, daß man die tatsächlichen Merkmale der Urteilstätigkeit in der sprachlichen Form von Imperativen ausspricht: sondern es muß, wie ein für allemal, so an jeder besonderen Stelle genau der Punkt bezeichnet werden, wo die psychologische Betrachtung aufhört und die logische einsetzt. Das ist wohl hier und da versucht, aber noch nicht im systematischen Zusammenhange geleistet worden: wie schwierig es ist, zeigen am besten neuerdings die direkt auf dieses Ziel gerichteten Untersuchungen von Husserl.

Wenn damit die methodische Unabhängigkeit der Logik von psychologischen Voraussetzungen verlangt wird, so ist die Kehrseite davon die, daß nicht geleugnet werden soll, wie lebhaft unter Umständen gerade die Anregungen sein können, welche von psychologischen Theorien aus die Logik zur Stellungnahme zwingen. Ein lehrreiches Beispiel dafür ist die Bewegung, welche in der Urteilslehre durch die Psychologie von Franz Brentano hervorgerufen worden ist. Dieser hatte mit Erneuerung der stoisch-cartesianischen Einteilung der Seelentätigkeiten die Urteile als eine besondere Klasse den „Vorstellungen" gegenübergestellt und fand das charakteristische Merkmal der Urteile in dem Akte der Anerkennung oder Verwerfung, der jedesmal auf den vorgestellten Inhalt gerichtet sei. Daß dieser Akt, seinem psychologischen Wesen nach, eher mit dem Willen Verwandtschaft habe, wurde von ihm nicht für wesentlich gehalten; erst andere, wie Bergmann, haben nachher von dem „praktischen Moment im Urteil" gesprochen. Für Brentano [190/191] wurde danach das, was die formale Logik die Qualität der Urteile nennt, deren einzig wesenhaftes Merkmal: alle anderen Unterschiede fielen nicht auf die Urteile, sondern auf die Vorstellungen und Vorstellungsverhältnisse, die im Urteil anerkannt oder verworfen werden. Als gemeinsame Form aller Urteile sollte damit der Existentialsatz zu Ehren kommen, der in der traditionellen Tafel der Urteile keine Stelle hatte. Sogar bei Kant, der die logische Eigenart des Existentialsatzes in der transzendentalen Dialektik sehr deutlich ins Auge zu fassen wußte, war diese Urteilsform heimatlos gewesen, obwohl in der Tafel der Kategorien sowohl Realität als auch Dasein ihre Rolle spielten. Jetzt lenkte sich die Aufmerksamkeit um so mehr auf diese interessante Urteilsform, und es wurden ihr eine Reihe von Untersuchungen gewidmet, ohne daß es zu einer fertigen Lehre über die Mannigfaltigkeit des Sinnes gekommen wäre, in welchem jene urteilsmäßige „Anerkennung" vollzogen werden kann, - eine Mannigfaltigkeit, der dann auch die Verschiedenheit der Bedeutungen entspricht, worin „Existenz" behauptet oder geleugnet werden kann.

An diese Untersuchungen schlossen sich sogleich andere. Galt die Anerkennung als das einzig Spezifische am Urteil, so konnte das Verhältnis von Subjekt und Prädikat nicht mehr wie früher als wesentlich oder für den Bestand des Urteils unerläßlich angesehen werden. Die „Prädikation" schien ihre Bedeutung für die Urteilslehre verloren zu haben; schon in der einfachsten Grundform des Existentialsatzes scheint ja nur Ein [!] Begriff vorzukommen, das Subjekt, das durch dies Urteil „anerkannt" werden soll, ohne daß ihm das „Sein" als Prädikat zugesprochen würde. So wurde Kants berühmte Lehre, daß das „Sein" kein „Merkmal an einem Begriffe" sein kann, in verschiedenem Sinne in diese Diskussionen hineingezogen. Auf der anderen Seite aber lenkten diejenigen Urteile die Aufmerksamkeit auf sich, in denen das Subjekt für die Prädikation zu fehlen scheint, die „subjektlosen Sätze" oder die „Impersonalien". Auch die Behandlung dieser Fragen ergab eine Fülle feiner und scharfsinniger Beobachtungen und interessanter Analysen. Ihr bleibendes Ergebnis, wie es namentlich durch Sigwarts erschöpfende Untersuchung deutlich gemacht wurde, dürfte darin bestehen, daß es eindringlich zum Bewußtsein kam, wie wenig sich sprachliche Formverschieden-[191/192]heiten mit logischen decken. Je zweifelloser es ist, daß sich in der Sprache die psychologischen Apperzeptionsprozesse zum Ausdruck bringen, um so mehr muß man auf den Unterschied der logischen Form von der sprachlichen achten. Man darf weder voraussetzen, daß derselben Sprachform immer dieselbe logische Form zugrunde liege, noch daß dieselbe logische Form sich immer in derselben sprachlichen Form äußere. Die Logik kann von der Grammatik, mit der sie geschichtlich nicht zu ihrem Vorteil verwachsen ist, zwar Anregungen und Fragen, aber keine Antworten und Einsichten erwarten. Wir müssen immer hinter die sprachliche Form dringen, um den logischen Sinn zu finden. Die Arten der Urteile fallen nicht mit den Arten des Satzes zusammen. Achtet man aber darauf, so zeigt es sich, daß die „Anerkennung" sich niemals auf einen einfachen Vorstellungsinhalt allein richtet, sondern immer eine Beziehung trifft, ein Verhältnis zwischen mehrfachen Vorstellungsinhalten. Der synthetische Charakter, worin Kant das Wesen des Bewußtseins fand, ist auch für das Urteilen unerläßlich. In jedem Urteil handelt es sich darum, eine Beziehung von Vorstellungsinhalten zu denken und über die Geltung dieser Beziehung zu entscheiden. Deshalb sind Relation und Qualität die beiden wesentlichen und gleich unerläßlichen Merkmale des Urteils, und sie bedingen die Einteilung, wonach die Urteilslehre in der reinen Logik entwickelt werden muß.

Den synthetischen Charakter des Urteils haben vor allem die beiden Hauptwerke betont, die das Rückgrat der logischen Literatur in den letzten Jahrzehnten gebildet haben, die von Sigwart und Lotze. Beide aber haben gerade von diesem Gesichtspunkt aus die völlige Unzulänglichkeit der traditionellen Urteilslehre aufgedeckt und ihr wohl definitiv ein Ende bereitet, - Sigwart, indem er diesen grammatisch-formalistischen Bau völlig niederriß, Lotze, indem er aus den Trümmern die Fundamente eines Neubaus aufzuführen unternahm. Sigwart zeigte, daß alle die Verschiedenheiten, die man in der üblichen Arteinteilung der Urteile als Unterschiede der Urteilsfunktion aufzufassen pflegt, in Wahrheit Verschiedenheiten entweder der Subjekte oder der Prädikate seien. So blieb schließlich als die Grundform alles Urteilens nur die kategorische Aussage eines Prädikats von einem Subjekt übrig, die Synthesis von Subjekt [192/193] und Prädikat. Diese Synthesis könne in einem Satze einfach oder mehrfach enthalten sein; aber von verschiedenen Arten der Synthesis dürfe man nicht hinsichtlich ihrer Form, sondern höchstens in dem Sinne sprechen, daß inhaltlich Subjekt und Prädikat in verschiedenen sachlichen Beziehungen stehen können. Von diesem Ergebnis der Urteilslehre geht die Sigwartsche Logik dann zur Untersuchung der Elemente und der Bildung der Begriffe und weiterhin der Begründung der Urteile im Schluß über.

Unter diese Kritik fielen auch die Unterschiede der Qualität, die noch durchaus parallel mit den drei anderen Einteilungen behandelt wurden, - wie denn auch Lotze Affirmation und Negation nur als „Nebengedanken" zu der primären Synthesis des Urteils auffaßte. Bei Sigwart stellte sich das in einer eigenartigen Theorie der Negation dar, die mannigfache, noch nicht ganz ausgetragene Folgen gehabt hat. Er wollte das negative Urteil als Urteil über den positiven Urteilsversuch aufgefaßt wissen. Damit machte er es zu einem Werturteil und veranlaßte eine Beziehung seiner Ansicht auf diejenigen Theorien, welche die Qualität der Urteile als einen dem Willen verwandten Akt der Billigung oder Mißbilligung ansahen. So wurde eine Diskussion der Negationslehre eingeleitet, bei der außer der Frage, ob Affirmation und Negation als gleichstufige Arten des Urteils zu koordinieren seien, auch die andere in Fluß kam, ob neben ihnen etwa noch weitere Formen der qualitativen Bestimmtheit des Urteils in Betracht zu ziehen seien. Die limitativen oder unendlichen Urteile aus der kantischen Tafel fielen natürlich fort: dafür kamen die Frage und anderseits das problematische Verhalten in Vorschlag. Der letztere Vorschlag eignet sich vielleicht besonders zu einer Verdeutlichung des Unterschiedes von logischer und psychologischer Behandlungsweise. Wenn gegen ihn häufig geltend gemacht wurde, daß man die Urteilsenthaltung unmöglich als ein Urteil auffassen könne, so ist das psychologisch ganz richtig. In diesem Sinn kann ein Urteil nur der fertige Akt genannt werden, der entweder affirmativ oder negativ, entweder Anerkennung oder Verwerfung ist, - gerade so wie ein Gefühl nur Lust oder Unlust, ein Wollen nur Begehren oder Verabscheuen sein kann. Aber das steht der logischen Forderung nicht im Wege, daß das Urteil sus-[193/194]pendiert werden soll, wenn zureichende Gründe weder für Bejahung noch für Verneinung vorliegen. Diese Forderung ist, während das Verhältnis von affirmativem und negativem Urteil durch die beiden Sätze vom Widerspruch und vom ausgeschlossenen Dritten reguliert wird, gerade in dem dritten Denkgesetze gegeben, dem Satz vom zureichenden Grunde, der Bejahung und Verneinung gleichermaßen für den Fall verbietet, daß die Gründe dafür fehlen oder unzulänglich sind. Die logische Koordination des problematischen Verhaltens zur Affirmation und Negation kann also damit nicht bestritten werden, daß sie keine psychologische Form des Urteils darstellt.

Je geringer bei Sigwart der künstliche Aufbau der formalen Logik gewertet wird (denn auch die Syllogistik erfährt bei ihm eine ähnliche Reduktion auf die einfache Grundform des sogenannten hypothetischen Schlusses), um so mehr verlegt er den Schwerpunkt der logischen Untersuchungen in die Methodologie. Der lebendige Zusammenhang mit der vielgestaltigen Arbeit der einzelnen Wissenschaften, die genaue Einsicht in die Formen ihres Forschungsverfahrens, das Verständnis des Zusammenhanges, der dabei zwischen diesen Formen und der allgemeinen oder besonderen Struktur der Gegenstände besteht, worauf sie sich beziehen - das alles erscheint als die fruchtbare Hauptarbeit des Logikers. Weit entfernt ist solche Methodologie von dem phantastischen Bestreben, eine Universalmethode für alle Wissenschaften auszuklügeln: umgekehrt sucht sie mit verständnisvollem Eingehen auf die im Gegenstande wurzelnde Eigenart der einzelnen ihre provinziale Autonomie in dem Gesamtreiche des Wissens aufrechtzuerhalten.

Auch Lotze hat der Logik diese intime Beziehung zu den Interessen der besonderen Wissenschaften gegeben; aber bei ihm steht diese Tendenz in einem noch allgemeineren Zweckzusammenhange. Niemand kann weiter als er von der formalen Auffassung entfernt sein, als bildeten die logischen Formen ein in sich geschlossenes, nur auf sich selbst bezogenes System. Getreu seinem teleologischen Idealismus suchte er vielmehr die Anfänge der Logik bei der Ethik, den Sinn ihrer Lehren in den Zwecken des Erkennens. Von diesem Grundgedanken aus wollte er dann auch bei aller eindringenden Kritik des [194/195] einzelnen mit konservativer Anlehnung an die traditionellen Auffassungen, Bezeichnungen und Anordnungen die Gesamtheit der logischen Funktionen als einen zweckvollen Stufenbau entwickeln, worin der Fortgang von Form zu Form durch die Aufgaben bestimmt erschien, welche Schritt für Schritt aus dem schon Geleisteten als neue Probleme entspringen. Er war sich wohl bewußt, damit zu der Methode der großen Idealisten und namentlich Hegels zurückzukehren und ihr durch die bewußte Anpassung an die Arbeitsziele der empirischen Wissenschaften eine neue und brauchbarere Gestalt zu geben. In diesem Sinne fügten sich bei ihm die alten Formen zu einem neuen Bau, der seine Einheit in dem Zweck des Erkennens und seiner dialektisch aufsteigenden Verwirklichung hatte.

Die Betonung der methodologischen Seite der Logik entsprach den allgemeinen wissenschaftlichen Zuständen der letzten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts, in denen die Philosophie sich allmählich durch möglichst nahen Anschluß an die Erfahrungswissenschaften zu neuer Selbstgestaltung herausarbeitete. Keine frühere Zeit hat so viele Männer der Wissenschaft gesehen, die, anfangs mit den Aufgaben ihrer besonderen Disziplin beschäftigt, mehr und mehr sich zu den allgemeinen Fragen gedrängt fühlten und von sich selbst Rechenschaft über ihre eigene wissenschaftliche Tätigkeit verlangten. Mathematiker und Physiker, Physiologen und Biologen, Historiker und Psychologen haben diesen Prozeß durchgemacht. Ein wachsendes Bedürfnis nach philosophischer Vereinheitlichung führte die Forscher zusammen, und je weniger es ein metaphysisches System gab, in dessen Anschauungen man sich sachlich hätte zusammenfinden können, um so mehr begegnete man sich in den Überlegungen über das Wesen menschlicher Erkenntnis. Diese intellektuelle Strömung drängte in letzter Instanz auf die Erkenntnistheorie; sie führte zur Erneuerung der Kantischen Lehre und weiterhin ihrer idealistischen Fortsetzungen: aber in breiteren Kreisen der empirischen Wissenschaft nahm dieser Zug des Denkens die methodologische Richtung. Sie wurde verstärkt durch den Reichtum der Entwicklung, welche die einzelnen Disziplinen, die historischen wie die naturwissenschaftlichen, gewannen: in rapider Ausbreitung stellten sich überall neue und neuartige Probleme ein, die zu ihrer Lösung die feinste Differenzierung und Ausarbeitung [195/196] der Forschungsmethoden verlangten. So mußte die Logik, wenn sie die Fühlung mit diesem reichen Leben der sachlichen Wissenschaft behalten wollte, diesen mannigfachen Auszweigungen der Methoden nachgehen und sie systematisch zu bemeistern suchen. Die umfassendste Ausführung dieses Bestrebens liegt in Wundts Logik vor.

Die Methodologie aber ist der Natur der Sache gemäß der am meisten nach der empirischen Seite offene und prinzipiell niemals und nirgends abzuschließende Teil der logischen Wissenschaft. Sie empfängt ihre Motive aus der wechselnden Entwicklung der besonderen Disziplinen, aus dem Auf- und Abschweben des Interesses, das sich bald mehr der einen, bald der anderen zuwendet. Ihre Geschichte, zumal in der neueren Zeit, wo sie dem reicher differenzierten Zustande der Einzelwissenschaften gegenübersteht, läßt sie abhängig von der vorwiegenden Bedeutsamkeit erscheinen, die im Wechsel der Zeiten die einzelnen Wissensgebiete in den Vordergrund des Interesses gerückt hat. So haben nacheinander mathematische, induktiv-naturwissenschaftliche, psychologische, historisch-dialektische, entwicklungsgeschichtliche Methoden die Vorherrschaft für sich in Anspruch genommen und zeitweilig behauptet, und es ist deutlich, daß dabei die Blüte der besonderen Wissenschaften, in denen diese Methoden ihre Triumphe feierten, jeweils auch die logischen Lehren bestimmt hat, die das Wesen des wissenschaftlichen Verfahrens überhaupt zu charakterisieren berufen waren.

In dieser Hinsicht hat nun die wissenschaftliche Entwicklung des neunzehnten Jahrhunderts eine allmähliche Zuspitzung erfahren, die zum Schluß mit großer Deutlichkeit in dem methodologischen Bewußtsein zutage getreten ist. Man kann ebenso oft lesen, dieses Jahrhundert sei das naturwissenschaftliche, wie es sei das historische. Und beide Behauptungen haben je in ihrer Weise recht. Von den großen Errungenschaften der Naturforschung, von der geschlossenen Sicherheit, zu der sie ihre Prinzipien ausgebildet hat, von der Klarheit ihrer Theorien und dem Reichtum ihres tatsächlichen Wissens, von den mächtigen Erfolgen ihrer Technik, von dem breiten Raum, den sie gerade deshalb in dem öffentlichen Interesse einnimmt, - von all dem zu reden ist unnötig. Auch die Philosophie hat diese Präponderanz sachlich erfahren: der [196/197] einseitige Versuch, aus den Begriffen der Naturerklärung allein eine Weltanschauung zu bilden, der Materialismus, hat lange genug die Philosophie beschäftigt, und wenn er jetzt aus ernsthaft wissenschaftlichen Kreisen verschwunden ist, so treibt er um so mehr sein Unwesen in den breiten urteilslosen Massen. Umgekehrt, könnte man sagen, ist es der Geschichtsforschung ergangen: das Interesse an ihr erwuchs mit der großen historischen Weltanschauung des Idealismus, es ergoß sich mit der romantischen Strömung in die Kreise der neuen Bildung und gewann so einen Ernst und eine Tiefe, wovon man früher keine Ahnung gehabt hatte. Aus der belletristischen Beschäftigung mit historischen Dingen, die sich von dem Anekdotenhaften oder Moralisierenden selten einmal zu einer künstlerischen Reproduktion erhoben hatte, wurde jetzt eine Forschung, und mit der bewußten Ausbildung und Anwendung kritischer Methoden wurde die Historie zu einer Wissenschaft. In ihrem emsigen Betrieb aber, aus dem nur von Zeit zu Zeit die monumentalen Werke unserer großen Historiker zu riesiger Höhe emporwuchsen, ging dann wohl gelegentlich auch die Fühlung mit den philosophischen Ideen verloren, aus denen die eigenartige Energie dieser ganzen Arbeit entsprungen war.

Für die Methodologie jedoch, die das logische Wesen der wirklichen Wissenschaft zu verstehen und zu formulieren berufen ist, erwuchs aus dieser mächtigen Doppelentfaltung eine neue, spät erst zum Verständnis kommende Aufgabe. Sie sollte beiden gerecht werden und ihre Eigenart gerade durch die Bloßlegung ihrer tiefsten Verschiedenheit begreifen. Für das Verständnis der Methoden der Naturforschung konnte man dabei in den gewohnten Geleisen bleiben. Auf sie war so ziemlich der ganze Apparat der überlieferten Methodologie zugerichtet: die „angewandte Logik" des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts war durchgängig und prinzipiell eine Lehre vom Wesen der Naturforschung; das hing mit den sachlichen Interessen der metaphysischen Systeme jener Zeit zusammen. In diesem Rahmen brauchte man jetzt nur zu bleiben, um die Verfeinerungen der wissenschaftlichen Technik und die Vertiefungen ihres logischen Verständnisses darin auszuführen. So geschah es bei den englischen Methodologen, wie John Stuart Mill oder Stanley Jevons, so vorwiegend noch in der ersten Auflage von Sigwarts zweitem Bande, zum Teil selbst [197/198] bei Lotze. Sehr viel ungünstiger stand es und steht es mit der Methodologie der Historik. Hier mußte, da ihr Objekt selbst als Wissenschaft neu war, eigentlich alles neu geschaffen und aus dem Rohen herausgearbeitet werden. Und nur die Anfänge dazu sind da. Gelegentlich, aber verhältnismäßig selten, hat es einen der bedeutenderen Historiker getrieben, sich über die Ziele und die Mittel seines Forschens logische Rechenschaft zu geben; was von Lehrbüchern der historischen Methode versucht worden ist (am besten von Bernheim), war begreiflicherweise mehr eine gelehrte Zusammenstellung der technischen Hülfsmittel für Forschung und Darstellung, als eine Reduktion dieser Verfahrungsweisen auf ihre logische Form und auf die begriffliche Struktur ihrer Voraussetzungen. Hier harrt noch eine Fülle von einzelnen Aufgaben ihrer Lösung, und hier sieht man vor allem erst allmählich einen allgemeineren Zusammenhang heraustreten, in den sich die einzelnen Untersuchungen ebenso eingliedern können, wie es für Spezialanalysen von Methoden der Naturforschung sich schon lange von selbst versteht.

Wenn diese allgemeinen Grundbestimmungen für das logische Wesen der Geschichtsforschung während des letzten Jahrzehnts eine deutlichere und festere Form anzunehmen begonnen haben, so ist diese bedeutsame Bewegung gerade durch die gegenteiligen Versuche hervorgerufen worden, die von dem Selbstbewußtsein der Naturforschung her die Eigenart der geschichtlichen Wissenschaft verkannten und ihr die eigenen Gedankenformen aufzwingen wollten. Das ist die Bedeutung des lauten Streits um die „Gesetze der Geschichte". Jene Versuche gingen von philosophischen Anschauungen aus, die, wie zum Beispiel die Schopenhauersche, ihre Auffassung vom Wesen der „Wissenschaft" einseitig der Beobachtung des Verfahrens der Naturforschung entnehmen (wie es ja schließlich auch Kant getan hat): so waren es namentlich Jünger des Comteschen Positivismus, die, gegen Comtes eigene bessere Einsicht, von der Geschichte verlangten, sie solle von der Erzählung der Tatsachen zur Einsicht ihrer Gesetzmäßigkeit fortschreiten. Wie sich damit die Tendenzen verbanden, die letzten Triebkräfte der historischen Bewegung in wirtschaftlichen Verhältnissen zu suchen, braucht hier nicht näher ausgeführt zu werden. Das Wertvollste war, daß ihnen gegenüber das Selbstbewußtsein [198/199] der historischen Forschung erwachte und ihr Recht, das individuell Bedeutsame in dem einmaligen Ablauf der menschlichen Geschichte festzuhalten und zu verstehen, energisch zur Geltung brachte.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die Logik auf diese Streitfrage, die mit der Zeit auch in dem Kreise der Historiker selbst Unfrieden stiftete, aufmerksam wurde, und für die Methodologie erwuchs daraus die Aufgabe, die traditionellen Lehren von der Klassifikation der Wissenschaften gründlich zu revidieren. Die aus sachlichen Motiven der allgemeinen Vorstellungsweise und historisch aus den Lehren der älteren Metaphysik hervorgegangene Einteilung von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften konnte den logischen Ansprüchen nicht mehr genügen; an ihre Stelle trat, jener antagonistischen Entwicklung des Jahrhunderts gemäß, der Unterschied von Naturwissenschaften, die auf die Erkenntnis von Gesetzen des Geschehens gerichtet sind, und historischen Wissenschaften, die auf die Einsicht der besonderen, durch allgemeingültige Wertbeziehungen ausgezeichneten Ereignisse gewiesen sind. Diese, von verschiedenen Seiten angebahnte Unterscheidung ist am glücklichsten als die von Naturwissenschaft und Kulturwissenschaft formuliert worden.

Eine derartig scharfe Disjunktion bedeutet selbstverständlich Grenzbegriffe, zwischen denen die lebendige Arbeit der einzelnen Disziplinen mit zahlreichen feinsten Abstufungen sich in der Mitte bewegt: gerade deshalb aber enthält sie ein überaus fruchtbares Prinzip für das logische Verständnis der wirklichen Arbeit der Wissenschaften. Ihre Bedeutsamkeit tritt in diesem Falle besonders an dem merkwürdigen Geschick hervor, das die methodologische Auffassung der Psychologie erfahren hat. Nach der alten Einteilung wurde und wird sie wohl noch als grundlegende Disziplin für die sogenannten Geisteswissenschaften betrachtet; es klingt ja so plausibel, daß es sich bei aller „Geschichte" um seelische Tätigkeiten des Menschen und um ihre Äußerungen in der Körperwelt handelt und daß ihr Verständnis deshalb die Lehre von den Seelentätigkeiten voraussetze. Wer aber die moderne Psychologie kennt, der weiß, daß, darin nach wesentlich naturwissenschaftlicher Methode von Dingen und Verhältnissen die Rede ist, von denen der Historiker für sein Geschäft gerade so viel und gerade so wenig verwenden [199/200] kann und zu wissen braucht, wie von der - Mechanik. Anderseits ist gerade aus diesem Verhältnis das lebhafte Bedürfnis hervorgegangen, die „wissenschaftliche Psychologie" durch eine „Psychologie der individuellen Differenzen" zu ergänzen, die ihrer ganzen Anlage nach nur historisch gerichtet sein kann.

Alle diese Fragen sind jetzt in erfreulichem Fluß, und Rickerts Buch über die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung steht zweifellos im Mittelpunkte dieser Bewegung. Wohin sie sachlich führen wird, ist schwer vorauszusagen: aber klar ist es aus diesen Diskussionen schon jetzt, daß die letzte Entscheidung darüber nicht mehr bei der Methodologie, sondern bei der Erkenntnistheorie zu suchen ist. Denn die Analyse der Verhältnisse, in denen die einzelnen Wissenschaften den Apparat der allgemein logischen Normbestimmung für die Erreichung ihrer besonderen gegenständlichen Erkenntniszwecke verwenden, ist doch im großen Zusammenhange der logischen Gesamtwissenschaft nur die Vorarbeit für die Lösung der Frage, welches der Beitrag ist, den die einzelnen Disziplinen für die letzten Zwecke menschlicher Erkenntnis überhaupt zu liefern berufen sind. Diese ihre Aufgaben bilden ihr Existenzrecht und bestimmen damit auch den logischen Charakter der Forschungsweisen, mit denen sie an ihre Gegenstände erfolgreich heranzukommen imstande sind. So berechtigt deshalb formale Logik und Methodologie in ihrer eigenen Ausgestaltung sind, so liegen doch ihre letzten Prinzipien erst in dem dritten Teil der Logik, der Erkenntnistheorie, - wie es Lotze (freilich mit anderer Terminologie) in der aufsteigenden Linie seiner „drei Bücher vom Denken, vom Untersuchen, vom Erkennen" vorgebildet hat.

Die rein erkenntnistheoretische Behandlung der Logik, welche mit Herabsetzung oder Vernachlässigung des formalen und des methodologischen Moments ihren Lehren zugleich die Bedeutung metaphysischer Einsichten gab, ist ursprünglich die charakteristische Tendenz der Hegelschen Schule. Sie lag ja schon bei Fichte, Schelling und Schleiermacher, in gewissem Sinne auch bei dem unglücklichen Krause vor: aber in keiner dieser Formen ist sie eigentlich als ein durchgeführtes System der Logik aufgetreten. Um so mehr war das bei den Hegelianern der Fall, und unter ihren Darstellungen dieser Wissenschaft bleibt die bei weitem interessanteste die von Kuno Fischer. [200/201] Sie ist eine freie, geschmackvolle, anschauliche Umbildung. Der Historiker der neueren Philosophie zeigt schon hier an Hegel seine Kunst, ihn ins Deutsche zu übersetzen. Er macht sich von dem Schematismus der Hegelschen Terminologie frei, er substituiert dem dialektischen Fortschritt die lebendige Form der Entwicklung, er veranschaulicht aus einem reichen historischen und literarischen Wissen die Kategorien und insbesondere den Übergang von der einen zur anderen durch bekannte Gestalten und Vorgänge der Geschichte und der Dichtung, und er führt diese lebendig vor, statt sie wie Hegel in geheimnisvoller Nebelhaftigkeit anzudeuten. Es ist die anziehende Frische der Kathederwirkung, die auch aus diesem Buche Kuno Fischers spricht.

Allein diese ganze erkenntnistheoretisch-metaphysische Logik verlor ihren Glanz und Nimbus mit dem Niedergange der idealistischen Philosophie in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die Erkenntnistheorie selbst wurde als eine von der eigentlichen Logik völlig und geflissentlich getrennte Wissenschaft erst mit der Erneuerung der Kantischen Philosophie zum zweitenmal geboren. Die „transzendentale Logik" der Neukantianer wollte mit formaler Logik und Methodologie nichts zu schaffen haben; sie ging über das Verhältnis der Kategorientafel zu der Urteilstafel am liebsten hinweg und stellte die Untersuchung über Grenzen und Tragweite der menschlichen Erkenntnis, worin vorerst die ganze Philosophie aufgehen sollte, auf eigenen Boden. Je weiter aber dieser Boden von der Metaphysik entfernt sein sollte, um so näher lag die Gefahr, daß solche Erkenntniskritik ihre Gesichtspunkte genetischen, das heißt psychologischen Untersuchungen entnahm: gerade in dieser Hinsicht ist die intime Beziehung, in die bereits Schopenhauer die Erkenntnislehre mit den Theorien der Sinnesphysiologie gebracht hatte, auch in der Folge nicht ohne Bedenken gewesen.

Denn es hat lange gedauert, bis der Kantische Begriff der Apriorität, der anfänglich im Mittelpunkte dieser Bewegung stand, von der psychologistischen Deutung freigemacht, der Beziehung auf die Annahme angeborener Ideen entrückt, und zum Unterschiede von psychologischer Priorität in seinem wahren Sinne als das Prinzip allgemeiner und notwendiger Geltung erkannt wurde. Hauptsächlich mußten sich diese Vorstellungen in den Diskussionen über das Raumproblem klären, [201/202] und es mußte deutlich werden, daß die Auffassung, mit der die Naturforscher geneigt waren, den Kritizismus als eine Erweiterung der Lockeschen „Subjektivität" auf die „primären" Eigenschaften zu deuten, sachlich ebenso unhaltbar wie historisch schief war. Der Vorgang dieser Klärung konnte nur aufgehalten werden, als von den entwicklungsgeschichtlichen Theorien aus der Versuch gemacht wurde, das „Apriori" für das Individuum zuzugestehen und es als ein von der Gattung Erworbenes zu erklären. Auch der evolutionistische Psychologismus ist für die Erkenntnistheorie gerade so unzulänglich und gerade so gefährlich wie für die formale Logik.

Die „empiristischen" Umbildungen der Kantischen Lehre, die in dieser Weise überwunden werden mußten, fanden eine Zeitlang Rückhalt auch in dem Eindringen positivistischer Ansichten, wie sie von C. Göring zu einer kritischen Philosophie ausgebildet werden sollten. Solche Verschmelzung von Kant und Comte schien dadurch nahegelegt, daß beide Denker von ihren sehr verschiedenen Ausgangspunkten her an dem Ergebnis zusammenkommen, die mathematisch-mechanische Theorie der Naturforschung für den beherrschenden Grundtypus aller Erfahrungswissenschaft zu erklären. Die Folge davon aber war die, daß mit der Empirisierung des Kritizismus dessen ethische Seite, die nur vom Apriorismus aus möglich ist, in derselben Weise verkümmerte, wie es schon bei Schopenhauer der Fall gewesen war. Die relativistische Richtung, die eine Zeitlang die Ethik nahm, hatte hier ihren Ursprung, und die völlige Wendung auch der Erkenntnislehre zum Positivismus vollzog sich, wie bei Ludwig Feuerbach, in durchgebildeterer Form bei Eugen Dühring.

Jenen einfachen und gröberen Formen der Annäherung von Kantschen und Comteschen Gedanken ist später eine Anzahl feinerer gefolgt. Sie hängen zum Teil damit zusammen, daß die sachliche Notwendigkeit des Fortschritts von Kant zu Fichte sich in dieser zweiten Entwicklung des deutschen Idealismus wiederholte und mit der abermaligen Aufhebung des Ding-an-sich-Begriffes zur Auflösung aller Wirklichkeit in Bewußtseinsphänomene führte. Dies geschah in der von Schuppe eingeführten „immanenten" Philosophie, deren Vertreter Mühe hatten, an der Gefahr des Solipsismus vorüberzukommen. Zum anderen Teil wurden die Auffassungen der Physiker maßgebend, [202/203] die in den wissenschaftlichen Theorien nur den Zweck einer möglichst einfachen, adäquaten und bequemen Beschreibung der Tatsachen anerkannten und die Leistungen der Wissenschaft als ein Denken der Welt nach dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes ansahen. Philosophisch hat das Avenarius, physikalisch am deutlichsten Mach ausgeführt: eine stärkere Akzentuierung nach der kantischen Seite fand diese Richtung bei Heinrich Hertz und in allerneuster Zeit bei dem französischen Mathematiker Poincaré.

Für die Gegenströmung, die an Kants transzendentalem Idealismus festhielt und seine Prinzipien in die weiteren Problembildungen hinübergerettet hat, war Kuno Fischers auf diesen Grundton gestimmte Darstellung des Kritizismus maßgebend. Von ihr aus ist Liebmann der Führer des genuinen Kritizismus der Erkenntnislehre geworden und geblieben: er vertritt ihn fester und reiner als einerseits Riehl, bei dem es an zeitweiligen Konzessionen zugunsten des Positivismus nicht gefehlt hat, und anderseits Cohen, der umgekehrt die bei Kant angelegte Beschränkung des transzendentallogischen Begriffs der Wissenschaft auf die „exakten" Disziplinen der Gesetzesforschung schließlich zu dem Versuch gesteigert hat, in den Prinzipien der Infinitesimalrechnung den schöpferischen Springpunkt des apriorischen Denkens zu sehen. Eine andere Abbiegung von Kant liegt bei Volkelt vor, der bereits der Neigung nachgeht, die Erkenntnislehre wieder zu einer Metaphysik auszugestalten. Darin aber macht sich nicht nur das Wiedererwachen der Hegelschen Philosophie und der Einfluß Eduard von Hartmanns geltend, dessen System als ein Spätling an dem Baume des deutschen Idealismus gereift war, sondern auch die Forderungen des Zeitgeistes, der, nach langer Entfremdung mit wachsendem Interesse zur Philosophie zurückgewendet, von ihr als das ihm Wesentliche eine Weltanschauung auch im theoretischen Sinne verlangt.

Zwei Probleme sind es, die in diesen erkenntnistheoretischen Erörterungen das meiste Interesse auf sich gezogen und die mannigfachsten Lösungsversuche hervorgerufen haben. Das erste ist das Problem der Transzendenz. Welche zentrale Stellung ihm gebührt, kann man sich vielleicht am besten durch eine einfache Überlegung klar machen, die zugleich die Aufgabe der Erkenntnistheorie präzis formuliert. Diese Dis-[203/204]ziplin kann nicht berufen sein, in die Arbeit der übrigen Wissenschaften hineinzureden, sondern sie setzt diese Arbeit als geleistet voraus. Die anderen Wissenschaften aber entwickeln mit ihrer planmäßigen Anwendung der formal logischen Beziehungen auf die mannigfachsten Erkenntnisgegenstände ihr objektives Weltbild, das den subjektiven Meinungen der Individuen gegenüber eine (von den Ergebnissen der Erkenntnistheorien völlig unberührte) allgemeine und notwendige Geltung besitzt. Dies objektive Weltbild nun bezieht der naive Anspruch unseres Denkens auf eine absolute Realität, zu der es in dem Verhältnis der Abbildlichkeit, der Wiederholung oder in irgendeinem ähnlichen stehen soll. So erhebt sich die letzte Frage aller Wissenschaft: welches ist dies Verhältnis des Objektiven zum Realen? Sie wurzelt darin, daß die Beziehung des Bewußtseins auf ein Sein oder der Bewußtseinsfunktion auf einen Bewußtseinsinhalt die einfachste und allgemeinste Form ist, auf die uns die Untersuchung der synthetischen Tätigkeit des Denkens führt. Diese Grundfrage aber bedeutet vom Standpunkt des naiven Denkens nichts anderes als das Problem ob und wieweit das Bewußtsein in der Erkenntnis sich auf eine transzendente, von ihm selbst real verschiedene Wirklichkeit beziehen kann. Die Beantwortung dieser Frage ist die Erkenntnistheorie: will man sie, weil eine Behauptung über das Verhältnis des Bewußtseins zum Sein immer auch zugleich eine Behauptung über das Sein selbst ist, - will man sie deshalb auch Metaphysik nennen, so ist das gleichgültig. Viel wertvoller ist es, zu betonen, daß wir für die Beantwortung dieser Frage keine anderen Argumente haben als die, welche uns die besonderen Wissenschaften selbst an die Hand geben.

Das andere Hauptproblem ist noch immer das der Kausalität, - seit Hume und Kant wohl dasjenige, welches den breitesten Raum in der Philosophie einnimmt. In den endlosen Diskussionen, die es noch immer erfährt, ist als das Neue und für die Zukunft Bedeutsame seine Beziehung auf den Begriff des Gesetzes zu bezeichnen. Kant hat beide in unlösbare Verbindung gebracht, indem er die Geltung des ursächlichen Verhältnisses a priori davon abhängig machte, daß die Ursache der Wirkung ihr Dasein in der Zeit nach einer allgemeinen Regel bestimme. So sehr daher in der individuellen [204/205] Verwickeltheit des einzelnen Geschehens Kausalfolgen möglich sind, die in ihrer inhaltlichen Eigenart sich nicht wiederholen, so lassen sie sich doch immer in elementare Kausalverhältnisse auflösen, die eine Bestimmtheit der Zeitfolge durch eine allgemeine Regel aufweisen, also den Charakter der Gesetzmäßigkeit an sich tragen. Verfolgt man diesen Gedanken weiter, so erhellt er die mannigfach abgestufte Verschiedenheit des Verhältnisses, worin sich die einzelnen Wissenschaften zu der Aufgabe befinden, Gesetze zu erforschen. Es wird solche Disziplinen geben, die ihren Gegenständen kein anderes oder kaum ein anderes Interesse als dieses abgewinnen können, - und andere dagegen, bei denen, der wertbestimmten Eigenart ihrer Gegenstände wegen, dies Interesse völlig hinter anderen zurückstehen muß. Die Bedeutsamkeit dieser Verhältnisse für den oben berührten Unterschied von Natur- und Kulturwissenschaften liegt auf der Hand: sie stellt eine Reihe tiefgreifender Aufgaben, deren Bearbeitung erst eben begonnen hat.

Die Kausalität gilt vielfach als die wichtigste der Kategorien: mit welchem Rechte, bleibe hier dahingestellt. Aber was hier entwickelt wurde, zeigt an einem jedenfalls hervorragenden Beispiele, daß die letzten Entscheidungen der Erkenntnistheorie ebenso wie der Methodologie an der Lehre von den Kategorien hängen. Diese sind eben die synthetischen Formen, in denen wir Gegenstände allein denken und deshalb auch allein erkennen können. Diese Kategorien sind aber deshalb auch in allen unseren Urteilen die Formen des Subjekt und Prädikat aufeinander beziehenden Denkens; sie stellen die Relationen dar, auf deren allgemeine und notwendige Geltung im Urteil Bejahung oder Verneinung gerichtet ist. Deshalb ist die Schöpfung einer Kategorienlehre ein gleichmäßiges Interesse für reine Logik, für Methodologie und für Erkenntnistheorie; sie allein kann das Bindeglied für alle drei Teile der logischen Gesamtwissenschaft als des Inbegriffs der theoretischen Philosophie werden.

Ansätze zur Lösung dieser Hauptaufgabe der zukünftigen Logik finden sich in der Literatur aller jener drei Teile verstreut; aber es fehlt noch, wie es scheint, an dem entscheidenden Prinzip zur Gestaltung eines Systems. Hartmanns „Kategorienlehre", in dieser Hinsicht entschieden die bedeutendste und eigenartigste Erscheinung seit Hegel, ist in ihrem geistvoll [205/206] gegliederten Aufbau schließlich doch auf metaphysi[s]che Voraussetzungen gegründet. Aber das System der Kategorien, wie es hier als die fundamentale Aufgabe gemeint ist, wird nur auf rein logischen Prinzipien beruhen dürfen.





Literatur.



(In der Reihenfolge der Behandlung im Text.)




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