Ungeachtet der sehr fortgeschrittenen Entwickelung unserer
Naturkenntnisse herrscht doch in Ansehung eines Begriffes, der für die
Naturwissenschaft von hohem Interesse ist, noch eine eben nicht geringe
Unbestimmtheit. Wir meinen den Begriff der Causalität, der so oder anders
gefasst den wissenschaftlichen Charakter unserer Naturansicht schliesslich so
oder anders bestimmen wird. Ist dieser Begriff ein nothwendiger und
allgemeingiltiger, oder vielleicht nur, wie Hume behauptet, das Werk einer
gleichförmigen Gewöhnung, oder nach Mill die Folge einer inductiven
Operation? Nach der letzten Ansicht soll der allgemeine Satz: alles, was
geschieht, muss seine Ursache haben", durch Generalisation aus vielen
Gesetzen von einer geringeren Allgemeinheit gewonnen sein, aus Gesetzen, die
alle darin übereinstimmen, dass der Eintritt einer Erscheinung geknüpft
ist an das Vorausgehen einer oder mehrerer anderer Erscheinungen. Diese Ansicht,
die im Wesentlichen mit der von Hume aufgestellten zusammenfällt, kennt
zwischen Ursache und Wirkung keinen nothwendigen Zusammenhang, so dass nach ihr
in einer der Regionen, in welche die Astronomie jetzt das Universum eintheilt,
Ereignisse aufs Geradewohl und ohne ein bestimmtes Gesetz auf einander folgen können*).
Man dürfte dies zugeben, wenn damit nur eine uns unbekannte Besonderheit
der Ereignisse, oder die Abweichung von irgend einer uns bekannten Ordnung der
Folge, und nicht vielmehr der Gedanke gemeint wäre, dass für jene
Region das Causalgesetz möglicher Weise ungiltig sei, also dort Ereignisse
ohne Ursache stattfinden könnten.
*) Mill: Inductive Logik. S. 331. [III/IV]
Eine andere, oft erhobene Frage, welche sich in Rücksicht
des Causalprincips aufdrängt, ist die: ob die Ursache ihrer Wirkung in der
That vorausgehe, oder mit derselben streng gleichzeitig bestehe. Auch auf diese
Frage lautet die Antwort, selbst im Bereich der Naturwissenschaft, keineswegs übereinstimmend,
was eben nicht befremden kann, wenn man bedenkt, dass darüber auch die
geschärfteste Erfahrung nicht endgiltig zu entscheiden vermag. In manchen Fällen
hat es ganz den Anschein, als ob die Ursache mit ihrer Wirkung gleichzeitig sei,
in vielen andern Fällen hingegen nicht. Nun scheint freilich schon der
Causalbegriff als solcher, falls derselbe überhaupt einen realen
Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung bezeichnet, die strenge
Gleichzeitigkeit beider zu fordern, wonach denn von Ursache und Bewirktem,
streng genommen, nur in Bezug auf den Moment die Rede sein kann, wo das eine aus
dem andern entspringt. Wird dann aber nicht alle Succession der Ereignisse, die
doch unleugbar gegeben ist, vernichtet?
Wir wollen die hervorgehobenen Fragen nach ihren verschiedenen
Beziehungen, jedoch mit Beschränkung auf die physikalischen Wissenschaften,
in nähere Erwägung ziehen, damit der nach unserer Ansicht wahre
Sachverhalt, der zwar keineswegs sehr complicirt ist, aber leicht verdunkelt
werden kann, möglichst präcis hervortrete. Der Schwerpunkt dieser
kleinen Abhandlung liegt in ihrem zweiten Theil, dessen Gegenstand das
Causalprincip im Besondern ist. Der erste Theil handelt - als Einleitung - von
den Naturgesetzen und verschiedenen Methoden der Naturforschung, welche
letzteren hier aufgenommen und kurz charakterisirt sind, in der Voraussetzung,
dass dies manchem Leser nicht unwillkommen sein dürfte, zumal da das
Hervorgehobene für das leichtere Verständniss des Hauptgegenstandes in
gewisser Hinsicht nicht ohne Bedeutung ist.
Halle, im März 1867.
Der Verf.
[IV/V]
Seite
Definition des Naturgesetzes 1
Die Eigenschaften der Körper fallen unter den Begriff des
Gesetzes 3
Beziehung der Naturgesetze auf ein Geschehen 3
Aufstellung der Naturgesetze durch Induction 4
Vollständige und unvollständige Induction 5
Analogie 6
Beispiele vollständiger und unvollständiger
Induction 7
Empirische Gesetze 8
Erklärung der Naturgesetze 8
"
"
"
auf inductivem Wege 9
"
"
"
"
analytischem
"
11
Hypothetische Erklärung der Naturgesetze 13
Psychischer Ursprung des Causalbegriffes 15
Zusammenhang zwischen Vorzeichen und Folgen 15
Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung 17
Allgemeingiltigkeit des Causalgesetzes 19
Das Gesetz der Beharrung (Trägheit) ist ein besonderer Fall
des allgemeinen Causalgesetzes 21
Der Causalbegriff ist nicht das Werk einer blossen Induction,
auch nicht im
Kant'schen Sinne ein Verstandesbegriff a priori 24
Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung 25
[V/VI]
Succession der natürlichen Ereignisse 26
Zusammengesetztheit der Ursache 28
Gleiche Ursache gleiche Wirkung 30
Ungleiche Ursache ungleiche Wirkung 30 u. 32f.
Messbarkeit der Ursache und Wirkung 33
Aequivalenz der Ursache und Wirkung 36
Deduction der physikalischen Axiome 38
[VI/1]
1. Unter dem Worte Naturgesetz lässt sich im Allgemeinen
die constante Art und Weise verstehen, in welcher irgend ein natürliches
Ereigniss statt hat oder sich vollzieht. Insgemein spricht sich das Gesetzliche
einer Naturerscheinung in der constanten Relation zwischen verschiedenen
Gliedern aus, die man in Betreff der Erscheinung von einander unterscheiden
kann. So besteht z B. zwischen dem Streben der atmosphärischen Luft, sich
im Raume zu verbreiten (auszudehnen) und ihrer Dichte eine constante Relation
von der Art, dass die Grösse jenes Strebens, d. h. die Expansiv- oder
Spannkraft der Luft, unter sonst gleichen Umständen, nämlich bei
gleicher Temperatur, sich nahezu verhält direct wie die Dichte, oder
umgekehrt wie das Volumen einer gegebenen Luftmenge. Dieses Gesetz - das sog.
Mariotte'sche - gilt bekanntlich innerhalb gewisser Grenzen auch für die übrigen
Gase. Ebenso besteht eine gewisse Beziehung zwischen der Expansivkraft eines
Gases und seiner Temperatur. Ferner findet sich bei den Molecularactionen,
welche die bekannten Capillar-Erscheinungen bewirken, eine constante Relation
zwischen der Erhebung oder in andern Fällen zwischen der Depression der Flüssigkeit
und der Weite der betreffenden Zwischenräume, und im Hinblick auf das
Ohm'sche Gesetz eine Beziehung zwischen der Intensität (Stärke) eines
elektrischen Stromes, dem Leitungswiderstande und der sogen. elektromotorischen
Kraft oder der elektrischen Spannungsdifferenz der Pole. Ein anderes Beispiel,
das noch angeführt werden mag, bietet das Abkühlungsgesetz eines Körpers,
der von einem gasförmigen Medium umgeben ist. Hier begegnen wir einer
bestimmten Beziehung zwi-[1/2]schen der Abkühlungsgeschwindigkeit (dem Wärmeverlust
in der Zeiteinheit) und verschiedenen andern Factoren, als da sind: die
Temperaturdifferenz zwischen dem Körper und seiner Umgebung, der Druck oder
die Spannkraft des Gases und die Dichte des letzteren. - Eine ganz analoge
Bewandtniss hat es mit den meisten anderen physikalischen Gesetzen.
Hiernach findet das Gesetz in allen Fällen, wo die besagte
constante Relation quantitativ bestimmbar ist, seinen Ausdruck in einer
mathematischen Function, welche eben die constante Beziehung zwischen den
zusammengehörigen Werthen mehrerer theils constanter theils veränderlicher
Grössen darlegt, so dass denn die besondere Art des Gesetzes durch die Form
der Function bestimmt ist.
2. Es ist nun leicht zu ersehen, dass die Eigenschaften, die man
einem Körper oder einer bestimmten Classe von Körpern beilegt, unter
den Begriff des Gesetzes fallen. Denn diese Eigenschaften drücken fast
durchweg eine gewisse, unter bestimmten Umständen constante Beziehung aus.
So bezeichnen die chemischen Eigenschaften, die man irgend einem Grundstoffe
zuschreibt, das constante Verhalten desselben zu andern Stoffen, wenn er mit
ihnen unter gewissen Umständen zusammenkommt. Die thermischen und optischen
Eigenschaften der Körper betreffen ihr Verhalten zu dem, was man Wärme
und Licht nennt, - ein Verhalten, das sich im Sinne der Undulationstheorie auf
die räumlichen Lagen- und Bewegungsverhältnisse der Aetheratome und
der die Körper constituirenden Grundatome zurückführen lässt.
- Auch die Schwere, als Eigenschaft eines Körpers gedacht, besteht in einer
Beziehung dieses Körpers zu andern Körpern (zur Erde), oder wenn man
den Körper für sich betrachtet, in einer gewissen Beziehung der
Massentheilchen desselben zueinander.
Ferner bezeichnet auch die Härte, die man einem starren Körper
als Eigenschaft zuschreibt, eine gewisse Beziehung - ein Verhalten - desselben
zu andern starren Körpern. Wir nennen einen Körper hart, dessen
Theilchen schwer verschiebbar sind, und daher dem Eindringen anderer Körper
einen grossen Widerstand entgegensetzen. Je grösser dieser Widerstand,
desto härter ist der Körper, und um so mehr wird derselbe bei
gegenseitiger Reibung mit einem andern Körper die Massentheile des
letzteren aus ihrer Lage verschieben. Darnach lassen sich bekanntlich alle
starren Kör-[2/3]per in eine gewisse Reihenfolge bringen, in welcher jeder
Körper den vorhergehenden ritzt oder [oder] von dem nachfolgenden geritzt
wird. So ist also die Härte eine relative Eigenschaft starrer Körper,
indem ein jeder von ihnen nur in Bezug auf einen andern hart ist. Allerdings
deutet diese Eigenschaft auf eine besondere Beschaffenheit jener Körper
hin, d. h. auf eine besondere Relation zwischen den Massentheilchen eines und
desselben starren Körpers, welche vermöge ihrer Wechselwirkung ihre
gegenseitigen Lagenverhältnisse sich bestimmen. Ebenso ist es mit der
Elasticität und Festigkeit, die sich als Eigenschaften starrer Körper
durch gewisse Relationen in mathematischer Form darstellen lassen. Und Analoges
gilt auch von den Eigenschaften der Materie in ihrem tropfbarflüssigen und
gasförmigen Aggregatzustande. In Rücksicht des letzteren sei an das
oben erwähnte Mariotte'sche Gesetz erinnert, das eben eine Eigenschaft gasförmiger
Körper bezeichnet.
Was endlich die gewöhnlichen sinnfälligen Merkmale
betrifft, die wir einem Körper als Eigenschaften zuschreiben, so deuten
dieselben auf sehr verwickelte Relationen hin, nämlich nicht allein auf
eine besondere Relation zwischen den sämmtlichen Bestandtheilen des Körpers
sondern auch auf eigenthümliche Beziehungen zwischen den letzteren und den
verschiedenen Sinnesorganen, von denen jedes wieder eine Mannichfaltigkeit von
Relationen in sich birgt.
3. Der Begriff der Naturgesetze schliesst nun überhaupt
eine Beziehung auf irgend ein Geschehen oder auf eine Veränderung ein,
gleichviel ob dabei eine Zeitbestimmung in Betracht kommt oder nicht. Erinnert
sei in dieser Hinsicht zuvörderst an die physikalischen Gesetze, die ihren
Ausdruck finden in einer mathematischen Function, welche die Zeit als Grösse
nicht enthält, sondern eine constante Relation zwischen den zusammengehörigen
Werthen anderer veränderlichen Grössen darstellt. Es gehört
hierher u. a. die Beziehung zwischen der Spannkraft und Dichte und der
Temperatur eines Gases, ferner auch das Gesetz der stationären Temperaturen
eines Metallstabes, der an einem Ende erhitzt ist, ebenso das Gesetz, nach
welchem die Intensität des freien Magnetismus von der Mitte gegen die Enden
eines Magnetstabes hin zunimmt; u. dgl.
Die chemischen Gesetze beziehen sich auf die constante Art und
Weise, wie chemische Verbindungen und Trennungen unter gewissen Umständen
vor sich gehen (geschehen). So gilt z. B. für [3/4] die neutralen
Sauerstoffsalze das Gesetz, dass der Sauerstoffgehalt der Säure zu dem der
Basis stets in einem einfachen und constanten Verhältniss steht, und dass
demgemäss die ungleichen Mengen verschiedener Basen, welche dieselbe Menge
einer Säure neutralisiren, gleiche Gewichtsmengen Sauerstoff in sich
enthalten. Als allgemeinere Gesetze - Regeln des Verhaltens der Stoffe
zueinander - haben wir hier: das Gesetz der Erhaltung der Quantität der
Materie, das Gesetz der bestimmten Verhältnisse, und das der multiplen
Proportionen oder der Vielfachen. Das erstgenannte Gesetz sagt, dass bei einer
chemischen Verbindung oder Trennung das Gewicht der Körper keine Aenderung
erleidet, indem das Gewicht eines zusammengesetzten Körpers stets gleich
ist der Summe der Gewichte seiner Bestandtheile. Den bezeichneten drei Gesetzen
lässt sich als ein allgemeineres noch beifügen das Gesetz der
Aequivalenz (Gleichwerthigkeit) verschiedener Gewichtsmengen von verschiedenen,
chemisch ähnlich wirkenden Körpern.
Reflectiren wir auf die räumlichen Bewegungserscheinungen,
so findet sich hier das allgemeine Gesetz, dass kein Körper (oder Körpertheilchen)
von selbst aus dem Zustande der Ruhe in den der Bewegung oder umgekehrt übergeht,
und dass jeder Körper, der sich einmal mit einer bestimmten Geschwindigkeit
in bestimmter Richtung bewegt, in dieser Bewegung so lange gleichförmig
verharret, bis irgend eine - äussere - Ursache eine Abänderung
derselben herbeiführt.
4. Wir erlauben uns nun, in Kürze verschiedener Methoden zu
gedenken, die zur Auffindung und Feststellung der Naturgesetze dienen. *)
Hervorgehoben sei zunächst die inductive Methode, die bekanntlich vom
Einzelnen zum Allgemeinen fortschreitet. Denken wir uns unter
A, B, C, D . . . . N
eine Reihe gleichartiger Objecte, deren gemeinsamer
Gattungsbegriff
S
durch Abstraction von ihren
*) In logischer Beziehung ist darüber zu vergleichen:
Drobisch: Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten Verhältnissen
mit Rücksicht auf Mathematik und Naturwissenschaft. 3. Aufl. 1863. S. 163
ff.; s. a. desselb. Verf. Programm: de philosophia scientiae naturali insita
Lipsiae 1864 (Pernitzsch). Ferner ist zu vergleichen, auch in Hinsicht auf die
verschied. Methoden der experimentellen Forschung, J. S. Mill's inductive Logik,
deutsch von Schiel. S. 97 ff. sowie Whewell's Philosophie und Geschichte der
inductiven Wissenschaften (deutsch von Littrow) und John Herschel's Abhandlung über
das Studium der Naturwissenschaft. [4/5]
Artunterschieden gewonnen ist. Weiss man nun entweder
unmittelbar und thatsächlich, oder mittelbar durch sonstige Schlüsse,
dass das Prädicat
P
jedem Gliede jener Reihe zukommt, so lässt sich
schliessen:
Sowohl
A
als
B, C, D. . . . N
sind
P,
A, B,
C, D .
N
sind alle
S,
also sind alle
S
. . . .
P.
Z. B. Sowohl Zink als Eisen, Kupfer, Silber sind gute Leiter der
Elektricität und Wärme,
Zink, Eisen, Kupfer, Silber ..... sind alle Metalle,
also sind alle Metalle gute Leiter der Elektricität und Wärme.
Die Erfahrung bietet hier eine Reihe - durch Versuche und
Beobachtungen gewonnener - synthetischer Urtheile, die der Obersatz
zusammenfasst. Der Schlusssatz besteht in einer Generalisation, welche ein
bestimmtes Verhalten als allgemeine Eigenschaft einer Reihe gleichartiger
Objecte ausspricht. Es ist leicht erkennbar, dass der Obersatz ein synthetisches
Urtheil oder eine Zusammenfassung solcher Urtheile sein muss, wenn die Induction
zu einer Erweiterung der Erkenntniss führen soll. Der Untersatz ist hier
immer ein analytisches Urtheil, d. h. ein solches, dessen Prädicat schon in
dem Begriff des Subjects liegt, wogegen das Prädicat des synthetischen
Urtheils als etwas Neues zu dem Begriff des Subjects hinzukommt.
Man nennt nun die Induction eine vollständige, wenn es von
allen Gliedern, die zu dem Umfange eines Subjectsbegriffes gehören,
ausgemacht ist, dass ihnen ein gewisses Prädicat zukommt, hingegen eine
unvollständige, wenn der Umfang des Subjectes nur theilweise gegeben ist,
und das, was für die bekannten Glieder gilt, auch auf die unbekannten übertragen
wird. Hier kommt dem Schlusssatze nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu, und
zwar eine um so höhere, je grösser die Anzahl der Fälle ist, in
denen das betreffende Prädicat gilt, oder je kleiner der Theil des Umfanges
ist, für welchen das Prädicat möglicherweise dem Subject nicht
zukommt. Die Wahrscheinlichkeit dieser unvollständigen Induction geht
jedoch in Gewissheit über, wenn der Umfang des Subjects nicht aus
specifisch verschiedenen Arten, sondern aus gleichen Individuen besteht, oder
wenn die Fälle, in denen das Prädicat gilt, nur als Wiederholungen
einer und derselben Voraussetzung anzusehen sind. [5/6]
Hier lässt sich schon aus einem einzigen Falle oder einigen
wenigen Fällen mit Gewissheit auf alle Fälle derselben Art schliessen.
So werden die Eigenschaften, welche ein Körper unter gewissen Umständen
an den Tag legt, unter denselben Umständen alle Körper von derselben
Beschaffenheit darbieten. Dieselbe Gruppe von Bedingungen wird, unabhängig
von Zeit und Ort, dieselben Erscheinungen mit sich führen. Hat man einmal
erfahren, dass ein Stoff
A
sich unter gewissen Umständen mit einem andern Stoffe
B
in einem bestimmten Verhältniss vereinigt, so ist es
gewiss, dass diese Vereinigung und die damit verknüpfte Erscheinung stets
auf dieselbe Weise stattfinden wird, so oft zwei Stoffe von der Beschaffenheit
des
A
und
B
sich unter denselben Umständen begegnen.*)
5. Nicht selten wird auch die Analogie benutzt, um den
gesetzlichen Charakter eines Dinges - in Ansehung seiner Eigenschaften - oder
eines Ereignisses festzustellen. Es lässt sich hier im Allgemeinen sagen,
dass zwei Dinge
A
und
B
, die in einer oder mehreren Eigenschaften einander gleichen,
sich auch in gewissen andern Eigenschaften gleichen werden. Je grösser nun
die erkannte Aehnlichkeit von
A
und
B,
d. h. je grösser die Anzahl ihrer gemeinsamen wesentlichen
Merkmale, oder je kleiner die Anzahl ihrer unterscheidenden Merkmale ist, desto
grösser die Wahrscheinlichkeit, dass ein Merkmal, das
A
zukommt, auch dem weniger bekannten
B
zukommen wird, oder auch desto grösser die
Wahrscheinlichkeit, dass
B
eine Eigenschaft bat, die zu ihm, wenn nicht in dem gleichen,
doch in einem ähnlichen Verhältnisse stehe, wie eine gewisse andere
Eigenschaft zu
A
.
Der Schluss nach unvollständiger Analogie lässt sich
mit dem der unvollständigen Induction in den allgemeineren zusammenfassen,
dass nämlich das, was von vielen Theilen eines Ganzen gilt, von
*) Es kann befremden, dass Mill (Inductive Logik S. 32) die
Frage aufwirft, warum in manchen Fällen ein einziges Beispiel zu einer
vollständigen Induction hinreichend sei, während in andern Fallen
Myriaden übereinstimmender Fälle, ohne eine einzige bekannte oder
vermuthete Ausnahme, einen so kleinen Schritt zur Festsetzung eines allgemeinen
Satzes thun? Wer diese Frage beantworten kann, versteht mehr von der
Philosophie der Logik, als der erste Weise des Alterthums; er hätte das
grosse Problem der Induction gelöst." Wie Mill diese nicht schwer zu
beantwortende Frage mit vollem Ernste aufwerfen konnte, wird verständlich,
wenn man die Ansicht, welche derselbe vom Causalgesetze hegt, genauer in
Betracht zieht. Näheres über diese Ansicht im II. Abschn. d. S.
[6/7]
allen wahrscheinlich ist. *) Diese Theile sind bei der Induction
Glieder des Umfanges eines Subjectbegriffes; was von ihnen allen gilt, ist ihr
gemeinsames Prädicat. Bei der Analogie ist das Ganze die Gesammtheit der Prädicate
eines Dinges (Subjects), in Bezug auf welche ein anderes gleichartiges Ding mit
demselben verglichen wird.
6. Instructive Beispiele vollständiger und unvollständiger
Induction (resp. Analogie) bieten die bekannten Kepler'schen Gesetze. So fand
Kepler sein drittes Gesetz, dass die Quadrate der Umlaufszeiten der Planeten
sich verhalten wie die Würfel ihrer mittleren Entfernungen von der Sonne,
durch eine vollständige Induction, nämlich durch eine Vergleichung der
mittleren Abstände aller damals bekannten Planeten von der Sonne mit ihren
Umlaufszeiten. Das Gesetz von der elliptischen Bahn der Planeten resultirte
dagegen zunächst aus einer unvollständigen Induction, indem Kepler aus
dem Umlaufe eines und desselben Planeten, nämlich des Mars, auf die Umläufe
aller übrigen schloss. Diese Induction wurde denn später vervollständigt.
Auch ergab sich das Gesetz, dass die Bahnen der Planeten Ellipsen sind, nicht
ohne Weiteres aus den Beobachtungen, die man in Hinsicht auf die Bewegung des
Mars angestellt hatte. Diese Beobachtungen führten nur zur Bestimmung einer
gewissen Anzahl von Orten (Positionen), welche der Planet successiv einnahm. Im
Hinblick auf die Bahn des Planeten entstand nun die Frage nach der Curve, welche
jene Orte, alle mit einander verbunden, bilden möchten. Kepler zog
verschiedene Curven in Betracht, um zu erfahren, ob sich die beobachteten
Marspositionen durch dieselben darstellen liessen, bis sich endlich nach langem
Suchen die elliptische Bahn als diejenige fand, welche mit den Beobachtungen
verträglich war. Das hier von Kepler eingeschlagene Verfahren war nun
insofern ein inductives, als es von den beobachteten Marspositionen ausging, und
diese bei den verschiedenen geometrischen Versuchen, die wahre Bahn des Planeten
zu finden, massgebend blieben. Auch war es zunächst nur eine unvollständige
Induction, als Kepler schloss, dass, weil die beobachteten Positionen des Mars
einer Ellipse angehören, auch die nicht beobachteten Zwischenpositionen des
Planeten innerhalb derselben Ellipse
*) s. Drobisch a. a. O. S. 186; über den Unterschied
zwischen vollständiger und unvollständiger Analogie ebenda S. 184.
[7/8]
gelegen seien. - Dagegen fand Galilei die Gesetze des Falles der
Körper nicht auf inductivem, sondern auf deductivem Wege (a priori), indem
er sich die Wirkung, welche die Schwere während einer gewissen Zeit auf
einen Körper ausübt, in eine Reihe momentaner Wirkungen zerlegt
dachte, deren jede dem Körper eine gewisse Geschwindigkeit beibringt, die
beharrt und sich mit der aus der nachfolgenden Einwirkung resultirenden
Geschwindigkeit vereinigt. So erhielt Galilei statt der stetig beschleunigten
Bewegung zunächst eine fortgesetzte Folge von gleichförmigen
Bewegungen, deren Geschwindigkeit sich aber bei jedem Uebergange zum folgenden -
immer gleichen - Zeitabschnitte steigerte. Hiernach führten nun die
arithmetischen Progressionen, welche die von den einzelnen Einwirkungen der
Schwere herrührenden Geschwindigkeiten und die am Ende der betreffenden
Zeitabschnitte durchlaufenen Wege darstellen, unter der Voraussetzung, dass die
zwischen den einzelnen Wirkungen der Schwere angenommene Zwischenzeit unendlich
klein sei, zu den beiden Fallgesetzen (
v
= gt
und
s
=
gt
2
), die denn von Galilei später durch Versuche bestätigt
wurden.
7. Im Bisherigen reflectirten wir vornehmlich auf empirische
Gesetze, d. h. auf solche, die zu ihrem Verständniss einer Erklärung -
einer Ableitung aus allgemeineren Gesetzen - bedürfen, und die daher, so
lange ihre Erklärung noch nicht gefunden ist, als unbegriffene Thatsachen
dastehen. Diese Gesetze verrathen, dass die Phänomene, für welche sie
gelten, von Bedingungen abhängig sind. Die Erklärung eines Phänomens
ist aber nichts Anderes als die Ableitung (Deduction) desselben aus seinen
Bedingungen. So kommt es also bei der Erklärung einer Naturerscheinung
darauf an, zuvörderst die Bedingungen derselben, soweit sie noch unbekannt
sind, zu erforschen, und dann die Erscheinung selbst als eine nothwendige Folge
der gefundenen Bedingungen aufzuzeigen.
Was nun das Auffinden der gesuchten Bedingungen einer
Erscheinung oder einer gewissen Gruppe von Naturerscheinungen betrifft, so
werden dazu nicht selten Induction und Analogie benutzt. So wurden z. B. die
Bedingungen der Thaubildung von Well auf inductivem Wege erschlossen. Im
Hinblick auf analoge Erscheinungen fand sich zunächst, dass in allen Fällen,
wo sich Thau absetzt, die Oberfläche der betreffenden Körper kälter
ist als die umgebende Luft. Doch nicht alle Körper werden gleich stark
bethaut; schlechte Wärmeleiter im Allgemeinen mehr als gute. Aber auch die
Be-[8/9]schaffenheit der Oberfläche zeigt sich von Einfluss, indem rauhe
Oberflächen unter sonst gleichen Umständen stärker bethauen als
glatte. Dies führt weiter zu dem Einfluss der Textur, so dass sich dichte,
feste Körper viel weniger als lockere Stoffe mit Thau beschlagen[.] Nun
sind diese Stoffe schlechtere Wärmeleiter als jene, ein Unterschied, der
bereits als bedeutsam für die Thaubildung erkannt ist[.] Das nächste
Resultat ist nun, dass alle Körper von der ange[ge]benen Beschaffenheit -
in Hinsicht auf Substanz, Oberfläche und Textur - die reichlichste
Thaubildung verrathen, da sie eben stärker als andere Körper unter die
Temperatur der umgebenden Luft erkalten, was besonders in windstillen und
heiteren Nächten der Fall ist. Die Bedingung der Thaubildung ist also die Kälte
der betreffenden Körper, und diese Bedingung lässt sich wieder auf die
Gesetze der Wärmeausstrahlung zurückführen, nach welchen
vorzugsweise Körper von der bezeichneten Beschaffenheit in wolkenlosen Nächten
an ihrer Oberfläche erkalten. Indessen lässt sich aus dieser Bedingung
allein die Erscheinung des Thaus noch nicht vollständig erklären, es
gehört dazu noch die Kenntniss von der Anwesenheit des gasförmigen
Wasserdampfes in der Luft und die Kenntniss von den Gesetzen seiner
Condensation. Kennt man aber diese Gesetze, so weiss man auch, dass die Luft bei
jeder Temperatur nur eine bestimmte Quantität Wasserdampf in sich aufnehmen
kann, die um so grösser sein wird, je höher die Temperatur der Luft
ist. Enthält nun die letztere bei einer gewissen Temperatur so viel
Wasserdampf, als sie bei dieser Temperatur überhaupt aufnehmen kann, d.h.
ist sie mit Wasserdampf gesättigt, so wird durch Erniedrigung der
Temperatur ein Theil des Dampfes zu Wasser condensirt werden müssen. Allein
auch dann, wenn die Luft noch nicht mit Wasserdampf gesättigt ist, kann sie
durch Erkaltung bis zu einem gewissen Temperaturgrade in den Zustand der Sättigung
gerathen, so dass ihr Dampf bei einer ferneren Temperaturerniedrigung theilweise
zu Wasser werden muss. Dies wird geschehen, wenn die Luft in Berührung mit
Körpern steht, welche an ihrer Oberfläche durch Wärmeausstrahlung
bis zu einem gewissen Grade erkaltet sind. Auf Grund derselben Gesetze lässt
sich nun auch weiter bestimmen, unter welchen Umständen die Thaubildung am
reichlichsten, und unter welchen Umständen sie gar nicht eintreten wird.
Die vollständige Erklärung der Thaubildung ist also nicht das Werk
einer reinen Induction. Die letztere reicht [9/10] eigentlich nur bis zu dem
Factum, dass in allen Fällen, wo sich Thau absetzt, die Oberfläche der
betreffenden Körper kälter ist als die umgebende Luft. Von hier an
beginnt eine deductive Operation, welche die empirisch erkannten Gesetze der
Dampfbildung (Verdunstung) und die Rückbildung des gasförmigen
Wasserdampfes in Wasser mit der Temperaturdifferenz zwischen der durch Wärmeausstrahlung
erkalteten Oberfläche der Körper und der umgebenden Luft in Beziehung
setzt. Und so wird auch in andern Fällen gar oft die Erklärung einer
Erscheinung gegeben durch eine Combination verschiedener erfahrungsmässig
gewonnener Gedankenreihen, welche durch gewisse Glieder mit einander in
Verbindung treten; oder mit anderen Worten: die Erklärung ist eine
Deduction, deren Prämissen, wenn sie nicht hypothetisch sind, auf
vorausgegangene Inductionen sich stützen.
Nicht selten besteht der erste Schritt zur Erklärung
gewisser Naturerscheinungen in einer möglichst vollständigen
Zusammenstellung bekannter Thatsachen oder Erscheinungen, die mit jenen in einem
gewissen Causal-Zusammenhange stehen. Beispielsweise erinnern wir an die
Verschiedenheit der klimatischen Verhältnisse auf der Erdoberfläche. Wäre
die letztere durchweg von homogener Beschaffenheit, so würde das Klima
einer Gegend durch ihre Entfernung vom Aequator bedingt sein, da zufolge des
Stellungsverhältnisses der Erde zur Sonne das Gesetz gilt, dass die
Temperatur der Erdoberfläche mit wachsender Entfernung vom Aequator
abnehmen muss. Nun besteht aber eine solche gleichförmige Beschaffenheit
der Erdoberfläche keineswegs, sondern es finden sich mancherlei
Ungleichheiten, welche die Temperatur eines bestimmten Theiles jener Fläche
erhöhen oder erniedrigen können.
Vergleicht man nun die klimatischen Verhältnisse
verschiedener Orte oder Länder miteinander, so kommt es darauf an, alle
diejenigen Umstände zusammenzustellen, durch welche die Temperatur
derselben erhöht oder erniedrigt wird. Hierher gehören als wichtige
Momente: die ungleiche Vertheilung von Land und Wasser, wodurch auch eine
ungleiche Wärmevertheilung bewirkt wird, wie man findet, wenn man das
ungleiche Verhalten von Land und Wasser zur Wärme berücksichtigt, dann
die Richtung der Luft- und Meeresströmungen, das Vorherrschen gewisser
Luftströmungen, die Erhebung aber das Niveau des Meeres, die Höhe und
Richtung der Gebirgszüge, die Beschaffenheit des Bodens, das Vorkommen von
[10/11] Wäldern, Seen, Sümpfen oder Morästen, u. dgl. m. Nach
derselben Methode ergiebt sich auch die Erklärung der Temperaturverhältnisse
der Quellen und Flüsse, indem man die verschiedenen Umstände oder
Factoren zusammenstellt, welche auf die Temperatur jener Gewässer einen
mehr oder minder bedeutenden Einfluss haben.
8. Wir haben bemerkt, dass es sich bei Erklärung der
Naturerscheinungen vornehmlich um zwei Fälle handelt. In dem einen Falle
sollen zu einer Erscheinung, die bereits als eine bedingte erkannt ist, die noch
fehlenden Bedingungen gesucht werden; in dem andern Falle ist nachzuweisen,
welche Folge (Wirkung) eine gegebene Combination von Bedingungen, deren
gesetzliches Verhalten bekannt ist, mit sich führen wird. Besteht nun in Rücksicht
des ersten Falles zwischen den gesuchten Bedingungen und den schon bekannten
eine gewisse als giltig anzusehende Beziehung, so lassen sich die zur vollständigen
Erklärung der Erscheinung noch erforderlichen Bedingungen durch ein
analytisches oder regressives Verfahren auffinden, welches von der Induction im
engern Sinne noch zu unterscheiden ist.*) Auf diesem Wege fand Newton die
mechanischen Bedingungen der Planetenbewegung, deren Gesetze, wie sie von Kepler
erkannt waren, dabei zum Ausgangspunkte dienten. Die Erscheinung selbst also in
ihrer empirischen Gesetzlichkeit war der Erkenntnissgrund ihrer Erklärungsgründe.
Zunächst ergab sich nämlich aus dem ersten Kepler'schen Gesetze,
wonach die Planetenbahnen ebene Curven sind, deren Ebenen durch den Mittelpunkt
der Sonne gehen, und die von dem letzteren zu dem Planeten gehende gerade Linie
(Radiusvector) in gleichen Zeiten gleiche Flächenräume beschreibt,
dass die Kraft, welche die Planeten in ihrer krummlinigen Bahn erhält, nach
dem Mittelpunkte der Sonne gerichtet sein müsse. Voraus ging freilich die
Erkenntniss, dass die krummlinige Bewegung nur möglich sei unter
Voraussetzung einer stetig wirkenden Ursache, die den bewegten Körper von
der gradlinigen Richtung, in welcher derselbe, nach dem Gesetze der Beharrung,
sich fortzubewegen strebt, beständig ablenkt. Sodann folgte aus dem zweiten
Kepler'schen Gesetz, nach welchem die Planetenbahnen Ellipsen sind, in deren
einem Brennpunkte die Sonne steht, im Verein mit dem dritten, wonach die Cubi
der mittleren Abstände der Planeten von der Sonne sich wie die Quadrate der
Umlaufszeiten ver-
*) s[.] Drobisch a. a. O. S. 164.
[11/12]halten, dass die Wirkung, welche die beschleunigende
Ursache auf verschiedene Planeten ausübt, an jedem beliebigen Orte dem
Quadrate ihrer Abstände von der Sonne umgekehrt proportional ist.
Bekanntlich lässt sich nun auch umgekehrt, wenn man eine solche nach dem
Mittelpunkte der Sonne gerichtete und dem Quadrate des Abstandes umgekehrt
proportionale Kraft annimmt, daraus die Planetenbewegung nach den Kepler'schen
Gesetzen als eine nothwendige Folge ableiten.
Newton ging noch einen Schritt weiter, indem er die Gravitation
als eine thatsächlich vorhandene Kraft nachzuweisen suchte. Die mittlere
Bewegung des Mondes um die Erde geschieht nämlich gleichfalls nach den
Kepler'schen Gesetzen, so dass denn auch der Mond in dieser Bewegung durch eine
nach dem Mittelpuncte der Erde gerichtete und dem Quadrate des Abstandes
umgekehrt proportionale Kraft erhalten wird. Es fragt sich nun, ob die an der
Erdoberfläche wirksame Schwere, die nach derselben Richtung wie jene Kraft
wirkt, und deren Intensität man theils durch Beobachtungen über den
Fall der Körper, theils durch Pendelversuche genau kennt, vielleicht auch
die Ursache ist, welche den Mond in seiner Bewegung um die Erde erhält.
Unter der Voraussetzung, dass die Schwere sich bis zum Monde erstreckt und ihre
Intensität abnimmt, wie das Quadrat der Entfernung wächst, lässt
sich aus dem bekannten Raume, welchen die Körper an der Erdoberfläche
in der Zeiteinheit durchfallen, der Fallraum des Mondes gegen die Erde hin
berechnen. Der so berechnete Fallraum ist bekanntlich eben so gross als der
durch Zerlegung der Mondsbewegung in eine tangentiale und centripetale
erhaltene, wodurch die Voraussetzung einer Identität der Schwere und der
Ursache, welche den Mond in seiner Bewegung um die Erde erhält, bestätigt
wird. Die Schwere an der Oberfläche der Erde ist sonach nur ein besonderer
Fall der Gravitation, d.h. des Bestrebens aller Körper, sich nach dem
bestimmten Gesetze zu einander hinzubewegen. Newton generalisirte dieses Gesetz
auf inductivem Wege, nachdem er gezeigt hatte, dass dasselbe für die
Trabanten des Saturn in Hinsicht auf den letzteren, dass es für die
Planeten in Bezug auf die Sonne, und endlich, dass es für den Mond in
Beziehung auf die Erde gelte, wozu später noch eine Vervollständigung
kam, indem sich ergab, dass nach demselben Gesetze auch die Abweichungen der
Planeten von ihren mittleren elliptischen Bahnen, nämlich die sog. Störungen,
und auch die Be-[12/13]wegung der Kometen und Doppelsterne sich erklären
lassen. - Mit der Auffindung der mechanischen Bedingungen der Planetenbewegung
fand aber zugleich eine Subsumption der Kepler'schen Gesetze unter zwei
allgemeinere Gesetze, nämlich unter das Beharrungs- und das
Gravitationsgesetz statt.
Das Gravitationsgesetz bezeugt nun, dass zwischen den
betreffenden Körpern ein Causalverhältniss besteht, vermöge
dessen sie zu einander hingetrieben werden mit einer Kraft, welche ihren Massen
direct und dem Quadrate ihrer Entfernung umgekehrt proportional ist. Ob indess
dieses Causalverhältniss in einer unmittelbaren, durch den leeren Raum sich
erstreckenden Anziehung der Körper beruht, oder ob vielmehr das, was man
Gravitation nennt, durch ein besonderes Agens (Medium) vermittelt ist, folgt
nicht ohne Weiteres aus dem in Rede stehenden Gesetze. Newton selbst hielt
bekanntlich die Annahme, dass ein Körper auf einen andern durch den leeren
Raum ohne irgend welche Vermittelung wirken könne, für schlechthin
ungereimt, und sah demgemäss die Ursache der Gravitation in einem die
Gemeinschaft der gravitirenden Körper vermittelnden Agens begründet,
ohne sich jedoch über dessen Beschaffenheit näher auszulassen. Drückt
man nun das Gravitationsgesetz in der Art aus, dass man sagt: die materiellen
Theilchen aller Körper ziehen sich wechselseitig an im directen Verhältniss
ihrer Massen und im umgekehrten des Quadrates ihrer Abstände, so darf man
hier unter dem Worte Anziehung zunächst nur eine Bewegungsursache
verstehen, welche sich auf je zwei Körper- oder Körpertheilchen, die
gegeneinander gravitiren, zugleich und gleichmässig bezieht, und denselben,
indem sie fortwährend wirkt, Geschwindigkeiten ertheilt, die im umgekehrten
Verhältniss zu ihren Massen stehen.
9. Lassen sich die Erklärungsgründe einer Erscheinung
(oder einer gewissen Gruppe von Erscheinungen) nicht auf inductivem oder
analytischem Wege aus dem erfahrungsmässig Gegebenen gewinnen, so kann man
gewisse Erklärungsgründe annehmen, um aus ihnen die betreffenden
Erscheinungen abzuleiten. Eine solche zur Erklärung der Erscheinungen
angenommene Voraussetzung, die man insgemein eine Hypothese nennt, muss in sich
selbst widerspruchslos sein, darf auch mit keiner anerkannten Thatsache im
Widerstreit stehen, und nicht im Laufe der Untersuchung Zusätze nach
Belieben erhalten, um ihren Mangel an Erklärungsfähigkeit oder [13/14]
ihre sonstigen Blössen zu decken. Im Uebrigen muss sich dieselbe durch ihre
Fruchtbarkeit bewähren. Die Wahrscheinlichkeit, die ihr zukommt, ist um so
höher zu schätzen, je grösser die Anzahl der Thatsachen ist, die
sie zu erklären vermag. Liegen verschiedene, an und für sich gleich
berechtigte Hypothesen mit einander im Streit, so kommt es darauf an, sie nach
ihren äussersten Consequenzen darzustellen. Der Streit wird sich dann,
falls die zu erklärenden Erscheinungen in genügender Anzahl als fest
begründete Thatsachen vorliegen, zu Gunsten der einen oder andern Ansicht
entscheiden müssen. Gelingt es, aus einer Hypothese die sämmtlichen zu
einer Klasse gehörigen Erscheinungen abzuleiten, und zwar, wenn sie
bestimmte quantitative Beziehungen darbieten, nach Zahl und Mass, so hat die
Hypothese das Mögliche geleistet. Vermag dieselbe sogar vorher unbekannte
Erscheinungen vorauszusagen, wie z. B. die Undulationstheorie die conische
Refraction des Lichtes etc., so bietet dies auf den ersten Blick viel
Ueberraschendes; allein bei genauerer Erwägung erkennt man doch, dass die
einer solchen Hypothese eigenthümliche Evidenz noch eben so gross sein würde,
wenn sie die vorausgesagten Erscheinungen als schon bekannte vollständig
erklärt hätte. Ist eine Hypothese vollständig entwickelt, d. h.
sind aus den von ihr angenommenen Bedingungen die sämmtlichen Folgerungen
dargelegt, so wird sie wohl auch anzugeben wissen, was unter diesen oder jenen
besonderen Umständen, die in den Bereich der betreffenden Erscheinungen gehören,
geschehen wird. Ob nun solche Umstände schon anderweit bekannt sind oder
erst von Seiten der Hypothese angenommen werden, kann für die Beurtheilung
des Werthes der Hypothese von keiner wesentlichen Bedeutung sein. Die beste Bewährung
einer Hypothese bleibt immer der Grad der innern Uebereinstimmung, welche sich
zwischen ihren Folgerungen und der Gesammtheit der betreffenden Thatsachen im
Allgemeinen wie im Besondern zu erkennen giebt. Wie hoch nun in dieser Beziehung
eine Hypothese auch stehen mag, so wird doch die Einsicht, die sie in Ansehung
des Ursprunges und des Zusammenhanges gewisser Erscheinungen gewährt,
immerhin einen hypothetischen Charakter behalten, so lange die angenommene
Grundbedingung sich nicht als ein thatsächlich Vorhandenes - als eine sog.
vera causa - nachweisen lässt. Dies gilt auch von der Undulationstheorie
des Lichtes, die sich in der Erklärung aller, selbst der verwickeltsten
Erscheinungen des Lichtes so glänzend bewährt hat. Zwar ist es sehr
[14/15] wohl möglich, dass ein elastisches Medium, wie es von jener Theorie
angenommen wird, existirt; allein dieses Medium - der Aether - ist doch eben
keine vera causa in dem zuvor bezeichneten Sinne, falls man für dessen
Existenz nur anzuführen vermag, dass sich aus den Oscillationen seiner
Theilchen die betreffenden Erscheinungen vollständig erklären lassen.
Freilich ist es, um sich von der Existenz eines Aethers zu überzeugen,
keineswegs erforderlich, dass derselbe zu einem Gegenstande sinnlicher
Wahrnehmung gemacht werde, sondern es würde genügen, wenn er durch
Schlüsse als ein thatsächlich Vorhandenes nachgewiesen werden könnte,
gleichviel ob auf Grund der empirischen Beschaffenheit der hierher gehörigen
Erscheinungen, oder auf andere Weise. Es würde hier, wie man leicht
erkennt, schon sehr viel gewonnen sein, wenn sich darthun liesse, dass keine
Ursache, bei welcher von der Existenz eines Aethers abgesehen wird, jene
Erscheinungen bewirken kann. Erweist sich die Annahme, dass die Sonne die Erde
unmittelbar erleuchtet und erwärmt, als schlechthin ungereimt, d. h. als in
sich widersprechend, so muss wohl die Existenz des Aethers als eine Thatsache
hingenommen werden.
10. In unseren bisherigen Betrachtungen trat das Causalprincip
vielfach zu Tage. Denn die Naturgesetze sind ja Ausdrücke bestimmter,
theils constanter theils variabler Causalverhältnisse, Ausdrücke eines
bestimmten Verhaltens der Naturdinge zu einander, freilich ohne Angabe dessen,
was diese Dinge an sich selber sind. Fassen wir nun den Causalbegriff selbst
nach seinen verschiedenen Beziehungen schärfer ins Auge.
Dieser Begriff hat seine psychischen Wurzeln ohne Zweifel in der
Association erfahrungsmässig erzeugter Vorstellungen, die in einem Verhältniss
von Vorzeichen und Folgen zu einander stehen. Durch wiederholtes Wahrnehmen
einer und derselben Reihe von Ereignissen werden die vorderen Glieder zu
Vorboten und Vorzeichen der nachfolgenden, welche man erwartet, wenn jene
gegeben werden. So erwartet man unter gleichen oder ähnlichen Umständen
ein Hervortreten gleicher oder ähnlicher Ereignisse, zunächst blos
darum, [15/16] weil die einzelnen Glieder der Vorstellungsreihe, welche aus der
wahrgenommenen Folge von Ereignissen hervorgegangen ist, in einer dieser Folge
entsprechenden Ordnung reproducirt werden. Hier findet zunächst kein
Schliessen aus Gründen auf Folgen oder aus den erkannten Ursachen der
Ereignisse auf ihre Wirkungen statt, sondern eben nur ein Schliessen aus
Vorzeichen auf Folgen, ganz so wie es die Reproduction der erfahrungsmässig
gewonnenen Vorstellungsreihe mit sich führt. Indess reproduciren bei einer
einmal aufgefassten Reihe von Ereignissen nicht allein die vorhergehenden
Glieder, wenn sie von Neuem gegeben werden, successiv die nachfolgenden, sondern
auch umgekehrt diese, falls sie zunächst in's Bereich der Wahrnehmung
treten, zugleich in abgestufter Klarheit die vorhergehenden. Hat sich z. B. von
dem Vorgange, den wir durch das Wort Verbrennung" bezeichnen, in Rücksicht
seiner hervorstechendsten Merkmale einmal eine Vorstellungsreihe gebildet, so
wird nun auch die Wahrnehmung der Verbrennungsproducte - Asche und Kohle - die
Vorstellung eines Feuers reproduciren.
11. Bei einer genauern Auffassung der Dinge und Ereignisse kann
es nun nicht ausbleiben, dass die Vorstellung des Verhältnisses zwischen
Vorzeichen und Folgen vielfach dem Gedanken eines Abhängigkeitsverhältnisses
Platz macht. Findet man, dass ein Ereigniss
B
niemals eintritt, ohne dass ihm ein bestimmtes anderes
Ereigniss
A
vorausgeht, so wird
B
als abhängig (bedingt) von
A
, und dieses als das Bedingende von
B
erscheinen, was um so mehr der Fall sein wird, wenn
A
auch öfter ohne
B
, das letztere aber niemals ohne jenes auftritt.
Namentlich sind es nun die an bekannten Dingen beobachteten Veränderungen,
welche zur Umwandlung des Verhältnisses zwischen Vorzeichen und Folgen in
ein Abhängigkeits- (Causal-) Verhältniss Anlass geben. Trifft z. B.
ein Körper, der von einer gewissen Höhe berabfällt, oder überhaupt
ein bewegter Körper einen andern, so wird die etwaige Veränderung, die
an diesem Körper sichtbar hervortritt, ohne Zweifel auf jenen bezogen
werden in der Art, dass derselbe als das die Veränderung Bedingende
erscheint. Dieses Abhängigkeitsverhältniss erhält dann durch
weitere Erfahrungen eine genauere Bestimmung, indem es sich z. B. u. a. findet,
dass die grössere oder geringere Höhe, von welcher ein Körper
herabfällt, nicht gleichgiltig ist in Hinsicht auf die Veränderung,
welche ein anderer Körper in Folge seines Zusammentreffens mit jenem
er-[16/17]fährt. Zeigen beide Körper im Falle ihres Zusammentreffens
eine Veränderung, so entsteht der Gedanke einer Wechselwirkung, indem
wechselseitig die Veränderung des einen auf den andern bezogen wird. Ebenso
ist es mit den chemischen Veränderungen, die ein Körper verräth,
wenn er unter gewissen Umständen mit einem anderen zusammenkommt. Insgemein
wird der hinzukommende Körper als das Bedingende - die Ursache - der Veränderung
angesehen, welche der gerade in's Auge gefasste Körper darbietet, bis auch
hier im Hinblick auf die Veränderung des erst genannten Körpers der
Gedanke einer Wechselwirkung entsteht. Inzwischen werden auch die begleitenden
Umstände in's Bereich des Ursächlichen gezogen, sobald die Wahrnehmung
lehrt, dass die Veränderung an dieselben gebunden, d. h. von ihnen abhängig
ist. Dabei bleibt die Art und Weise, wie das, was man Ursache nennt, wirkt und
eine Veränderung hervorbringt, noch ganz im Dunkeln. In dieser Rücksicht
denkt man sich wohl zunächst die Dinge, welche von einer Veränderung
betroffen werden, als leidend, hingegen die andern Dinge, denen man die Schuld
der Veränderung beimisst, als thätig, bis sich diese Unterscheidung
zwischen Activität und Passivität (Agens und Patiens) bei genauerer
Erwägung als illusorisch erweist und nur noch eine gewisse relative
Giltigkeit behält. Auch zeigt in vielen Fällen schon eine geschärftere
Wahrnehmung, dass die zunächst als leidend gedachten Objecte mit einer
gewissen Energie zurückwirken. Ueberhaupt aber muss bei einer genaueren
Erfassung der natürlichen Dinge und Ereignisse der Gedanke einer
Wechselwirkung mehr und mehr Raum gewinnen, womit denn auch der Kraftbegriff
eine gewisse Umwandlung erfahren wird. Dieser Begriff besteht zuvörderst
wohl in der Vorstellung eines geheimnissvollen Etwas, welches als inneres
Eigenthum des als Ursache gedachten Dinges unter Umständen aus demselben
heraus in ein anderes Ding eingreift, um in diesem eine Veränderung
hervorzubringn. Dazu gesellt sich denn in besonderen Fällen noch der
Gedanke an eine Anstrengung, der vermittelst unserer eignen Muskelgefühle
bei Ueberwältigung von Hindernissen gewonnen und auf die äusseren
Dinge übertragen wird.
12. So wird also der Zusammenhang zwischen Vorzeichen und Folgen
auf Grund einer, vermöge fortgesetzter Beobachtungen und Versuche geläuterten
und erweiterten Erfahrung, welche die Ereignisse als gesetzlich charakterisirte,
d. h. als bedingte - als [17/18] nicht zufällige - erscheinen lässt,
in eine Beziehung zwischen Bedingung und Bedingtem oder in den Zusammenhang
zwischen Ursache und Wirkung umgewandelt, wobei nach Massgabe der beobachteten
Vorzeichen und Folgen die Ursache als das Frühere, die Wirkung als das Spätere
erscheint. Hiernach können wir nun John Stuart Mill innerhalb gewisser
Grenzen beistimmen, wenn er sagt*): dass der Glaube an die Allgemeinheit des
Causalgesetzes selbst ein Beispiel von Induction, und zwar keineswegs eine der
frühesten sei, welche die Menschen gemacht haben konnten. Wir
gelangen zu dem allgemeinen Causalgesetz durch Generalisation aus vielen
Gesetzen von einer geringeren Allgemeinheit. Die Neigung zu generalisiren wartet
nicht bis zu der Zeit, wo eine solche Generalisation streng begründet
werden kann. Die blosse Neigung, das wieder zu erwarten, was man oft erfahren
hat, führt die Menschen zu dem Glauben, dass alles, was geschieht oder zu
existiren anfängt, eine Ursache hat, lange bevor sie einen logischen Beweis
für diese Wahrheit besitzen konnten. . . . Was in unzähligen Fällen
als wahr gefunden worden ist und sich bei der Untersuchung niemals falsch
erwies, können wir mit Sicherheit einstweilen als universell behandeln, bis
sich eine unzweifelhafte Ausnahme darbietet; wenn die Natur des Falles nur der
Art ist, dass eine wirkliche Ausnahme unserer Beobachtung nicht leicht entgehen
konnte. Wenn eine jede Naturerscheinung, die wir hinreichend kannten, eine
Ursache hatte, wovon sie beständig eine Folge war, so war es rationeller
anzunehmen, dass unsere Unfähigkeit, die Ursachen anderer
Naturerscheinungen nachzuweisen, aus unserer Unwissenheit hervorging, als zu
behaupten, dass es Naturerscheinungen gebe, welche keine Ursachen haben, zumal
wenn diese Erscheinungen gerade diejenigen sind, die wir bisher nicht genug
Gelegenheit hatten zu studiren."
In dem Allem liegt keine Erkenntniss der Allgemeingiltigkeit des
Causalgesetzes oder eines nothwendigen Zusammenhanges zwischen Ursache und
Wirkung. Dasselbe ist danach im Grunde nur ein empirisches Gesetz, welches sich
so weit erstreckt, als menschliche Erfahrung reicht. Daher denn Mill auch sagt:
Die Gleichförmigkeit (Gesetzlichkeit) in der Aufeinanderfolge von
Naturerscheinungen, auch das Causalgesetz genannt, muss angesehen werden:
*) Inductive Logik. S. 328 ff. S. 340.
[18/19]
nicht als ein Gesetz des Universums, [s]ondern nur jenes Theils
desselben, der innerhalb des Bereiches unserer sicheren Beobachtungen liegt, mit
einem vernünftigen Grade von Ausdehnung auf angrenzende Fälle. Nur
innerhalb der Grenzen menschlicher Erfahrung kann dieses Gesetz, obgleich es
selbst durch Induction aus besonderen Causalgesetzen erhalten worden ist, für
nicht weniger gewiss, sondern im Gegentheil für gewisser gehalten werden,
als eines von denjenigen, von welchen es abgeleitet ist. Zu dem Beweis derselben
fügt es eben so viel hinzu, als es von ihnen empfängt.
13. Dennoch kann es keinem Zweifel unterliegen, dass Ansehung
der Allgemeingiltigkeit des Causalbegriffes noch etwas Anderes als die
bezeichnete Induction, und zwar eine Notwendigkeit in's Spiel, tritt, die, wenn
nicht deutlich erkannt, doch mindestens dunkel gefühlt wird: in allen Fällen,
wo man mit grösster Bestimmtheit irgend eine Ursache voraussetzt, auch wenn
sich in der Beobachtung noch gar nichts findet, das für die Ursache der
betreffenden Erscheinung gehalten werden könnte. Eine Spur dieser
Nothwendigkeit findet sich auch bei Mill. Derselbe*) weist in seinen
einleitenden Betrachtungen über das Causalgesetz auf eine gewisse unveränderliche
Ordnung der Folge im Gange der Natur hin. Gewisse Thatsachen folgen gewissen
Thatsachen, und werden ihnen, wie wir glauben, immer folgen. Die unveränderlich
vorhergehende wird die Ursache, die unveränderlich folgende die Wirkung
genannt, und die Allgemeinheit des Causalgesetzes besteht darin, dass eine jede
folgende auf irgend eine Weise mit einer vorhergehenden oder mit einer Reihe
vorhergehender verknüpft ist. Indessen entgeht es Mill nicht, dass die
blosse unveränderliche Folge nicht hinreicht, um das in Rede stehende Verhältniss
zu charakterisiren. Sonst müsste, wie schon von Reid hervorgehoben wurde,
die Nacht die Ursache des Tages und der Tag die Ursache der Nacht sein, indem
diese Erscheinungen in unserer vergangenen Erfahrung beständig auf einander
folgten. []Die Folge von Tag und Nacht,["] bemerkt Mill, []ist
bedingt durch das Zusammenwirken verschiedener Antecedenzien. Das aber, was von
einer gegebenen Folge begleitet ist, wenn, und nur wenn irgend ein dritter
Umstand ebenfalls existirt, ist nicht die Ursache, wenn gleich niemals ein Fall
vorgekommen ist, dass das Phänomen ohne es stattgefunden hätte. Unveränderliche
Folge ist
*) A. a. O. S. 47f. S. 60.
[19/20]
daher nicht synonym mit Ursache, wenn die Folge ausser unveränderlich
nicht auch unbedingt ist." Die Verursachung des Einen durch das Andere ist
freilich nicht ein blosses Begleiten des Einen vom Andern. Demgemäss
definirt Mill die Ursache einer Naturerscheinung schliesslich als das Antecedenz
oder das Zusammenwirken von Antecedenzien, worauf sie unveränderlich und
unbedingt folgt, d.h. doch wohl: worauf sie ohne weitere Umstände,
unvermeidlich oder nothwendig folgt, was denn eben einschliesst, dass die als
Wirkung bezeichnete Folge mit der Ursache auf irgend eine Weise nothwendig verknüpft
ist.
14. Die Nothwendigkeit und Allgemeingiltigkeit des
Causalbegriffes ergiebt sich erst mit Evidenz aus der Erkenntniss des
Widerspruches, welcher dann zu Tage tritt, wenn man die Veränderung der
Dinge ohne alle Beziehung auf irgend eine Ursache denkt. Der Gedanke, dass ein
Ding sich ohne Grund und Regel verändere, dass es sprungweise die vorige
Beschaffenheit mit einer neuen vertausche, also im nächsten Augenblick
nicht mehr dasselbe ist, was es im vorigen war, bringt in die Vorstellung des
Dinges widersprechende, einander aufhebende Merkmale. Darum wird die Schuld der
Veränderung auf etwas Anderes und Fremdes geschoben, welches als Ursache müsse
herbeigekommen sein, um das Neue zu stiften, was in dem Dinge nicht habe von
selbst werden können. Durch den Widerspruch im Begriff der Veränderung
- der Abweichung des veränderten Dinges von sich selbst - wird also das
Denken genöthigt, den Begriff der Ursache zu erzeugen, und zwar so oft genöthigt,
als die widersprechende Form, welche man Veränderung nennt, in unserer
Erfahrung vorkommt.*) - Dies gilt nicht allein für die sog. qualitativen
Veränderungen der Dinge, sondern auch in Ansehung des Wechsels zwischen
Ruhe und Bewegung, und des Wechsels während der Bewegung im Hinblick auf
Richtung und Geschwindigkeit. Die Annahme, dass ein Ding von selbst, ohne irgend
eine Ursache, aus Ruhe in Bewegung oder umgekehrt aus Bewegung in Ruhe übergehe,
oder endlich, dass dasselbe während der Bewegung sich ohne Ursache bald in
dieser bald in jener Richtung, bald langsamer bald schneller, bewege, führt
gleichfalls zu Merkmalen, die in der Bestimmung der Qualität des Dinges
einander widerstreiten. Dagegen lässt das constante Ver-
*) s. Herbart: Sämmtliche Werke. Bd. I. S. 213
[20/21]
harren eines Dinges in Ruhe oder in Bewegung - nach einer
bestimmten Richtung mit bestimmter Geschwindigkeit - die Qualität desselben
unangetastet; es bleibt hier überall: an jedem Orte, den es erreicht, sich
selbst gleich, und wie den vorhergehenden, so verlässt es den folgenden
Ort. Kurz: die Bewegung als solche, als blosse Ortsveränderung, ist kein
reales Prädicat des bewegten Dinges selbst, wogegen die Annahme, dass ein Körper
sich selbst, ohne alle Ursache, bald so bald anders bewege, demselben allerdings
widersprechende Prädicate beilegt. Das Gesetz der Beharrung (oder Trägheit)
ist daher nur ein besonderer Fall des allgemeinen Causalgesetzes, wonach jede
Veränderung, die ein Ding erfährt, eine Ursache erfordert.
15. Der Begriff einer Veränderung ohne Ursache und ohne
Regel fällt zusammen mit dem Begriff des reinen Zufalls. Wird dagegen die
Veränderung, wenn auch ohne Ursache, doch als ursprüngliche Qualität
dessen gedacht, was ihr unterworfen ist, so entspringt der Begriff des absoluten
- ursachlosen - Werdens, wonach die wechselnden Beschaffenheiten des Werdenden
in continuirlichem Flusse auf einander folgen, indem jede vorhergehende sich
selbst aufhebt und die nachfolgende erzeugt. Dieser Begriff ist wegen der
Widersprüche, die er in sich birgt, ebenso ungiltig, als der Begriff des
reinen Zufalls.*) Denn das in sich Widersprechende kann weder als Ausdruck des
wahrhaft Seienden, noch als Ausdruck eines wirklichen Geschehens zugelassen
werden. Aus demselben Grunde ist jede qualitative Veränderung, welche den
Gedanken einer wesentlichen Umwandelung der Dinge einschliesst, schlechthin zu
verwerfen. Der Begriff einer solcher Veränderung ist immer eine Verbindung
contradictorisch einander entgegengesetzter Bestimmungen im Dasein eines und
desselben Dinges, also der Widerspruch selbst.**) Daher können die
qualitativen Veränderungen, wie sie im Bereiche der Chemie zu Tage treten,
nur in einer wechseln-
*) Wenn in der Naturwissenschaft vom Zufall die Rede ist, so
meint man nicht, dass irgend eine Naturerscheinung ohne Ursache hervorgebracht
werde, sondern man bezieht das Wort Zufall" meist auf das
Zusammentreffen verschiedener Ereignisse, deren Ursachen, so viel man weiss,
durch kein Gesetz mit einander verbunden sind, so dass hier eben nur das
Zusammentreffen der Ereignisse als ein zufälliges angesehen wird.
**) Näheres darüber s. in des Verf. Schrift: Grundzüge
einer Molecularphysik. Halle 1866. S. 1 ff.
[21/22]
den Vereinigung und Trennung der verschiedenen Grundstoffe begründet
sein, so dass die ursprüngliche Beschaffenheit der letzteren dabei keine
Veränderung erleidet. Vereinigen sich die Theilchen verschiedener
Grundstoffe mit einander zu einem Ganzen, so kann dieses sehr wohl, abgesehen
von einer wesentlichen Umwandelung jener Stoffe, in seiner Wechselwirkung mit
andern Körpern und mit unseren Sinnesorganen Eigenschaften darbieten, die
gar sehr von denen abweichen, welche ein jeder der betreffenden Stoffe für
sich kundgiebt. Bestehen die chemischen Grundstoffe aus Atomen, die in ihrem
ursprünglichen Quale unveränderlich, aber durch ihre gegenseitigen
Reactionen zu Massentheilchen mit einander verknüpft sind, so ist auch
erkennbar wie unter gewissen Umständen ein Grundstoff ohne Umwandelung
seines Wesens, in Folge einer Aenderung der Reactionszustände und
Gruppirung seiner Atome Eigenschaften gewinnen kann, die von seinen gewöhnlich
abweichen.
Es ist nun ferner ersichtlich, dass aus Einem einzigen
Realgrunde die gegebene Mannigfaltigkeit und Veränderlichkeit der
Naturerscheinungen nicht abgeleitet werden kann, wenn man nicht zu dem in sich
widersprechenden Begriff des absoluten Werdens, wonach das angenommene Eine sich
vermöge ursprünglicher Agilität in Vieles und Verschiedenes
spaltet, seine Zuflucht nehmen will. Die bezeichneten Widersprüche können
nur vermieden werden, wenn man eine Mannigfaltigkeit realer, in ihrem ursprünglichen
Quale unabänderlicher Wesen (Atome) annimmt, die vermöge ihrer
Wechselwirkung die Naturerscheinungen bedingen. Damit eröffnet sich auch
die theoretische Einsicht in die Festigkeit, welche alle wahren Naturgesetze
bekunden. Diese Festigkeit ist nicht denkbar ohne Voraussetzung einer festen,
durchaus gleich bleibenden Beschaffenheit der Dinge. In der Sichselbstgleichheit
und Unwandelbarkeit der letzten realen Elemente der Natur hat die Festigkeit der
Naturgesetze den Grund ihrer Nothwendigkeit. Weil das Beharrliche ein solches
und kein anderes ist, darum wird der Wechsel von solchen und keinen andern
Gesetzen regiert. *) Gäbe es nicht gewisse constante Grundbedingungen der
natürlichen Ereignisse, so würde von einer constanten Art und Weise
des Geschehens, d.i. von festen Naturgesetzen nicht die Rede sein können.
Diese Gesetze sind nichts ohne die Dinge selbst, deren von ihrer Natur (Qualität)
abhängiges
*) s. Herbart: Sämmtliche Werke. Bd. II. S. 184.
[22/23]
Verhalten zu einander sich eben in den Gesetzen auf eine
bestimmte Weise ausspricht.
16. Indessen kann auch die atomistische Theorie, ungeachtet der
Wahrheit ihres Grundgedankens, sich in Rücksicht der Beziehung zwischen
Kraft und Atom gar leicht in Widersprüche verwickeln, wenn sie nämlich
die Kraft, gleichviel ob anziehende oder abstossende, als ursprüngliche
(ursachlose) Thätigkeit der Atome auffasst. Widerspruchsfrei können
die Kräfte nur als Thätigkeiten gedacht werden, zu denen sich die
Atome selbst auf Grund ihres ursprünglichen Quale, wechselseitig bestimmen.
Die Kraft, als eine Thätigkeit, fällt unter den Begriff des
Geschehens, welches einer Ursache bedarf, und zwar hier so, dass die Kraftäusserung
eines Atoms durch ein oder mehrere andere Atome bestimmt wird. Es herrscht hier
also eine strenge Wechselwirkung, die ihre reale Bedingung, wie sich näher
zeigen lässt, in einem gewissen qualitativen Gegensatze der Atome hat.
Dieser Gegensatz kann aber nur dann einen realen Erfolg haben, wenn die Atome
wirklich zusammen sind oder mindestens bis zur Berührung zusammenkommen.
Jedes Atom behauptet sich dann gegen das andere in seiner ursprünglichen
Qualität, und diese Selbsterhaltung ist eben das, was man als Kraft zu
betrachten hat.*)
Damit ist nun freilich eine unmittelbare - durch den leeren Raum
sich erstreckende - actio in distans verworfen, die uns indess auch erfahrungsmässig
nicht gegeben ist. Die Erfahrung zeigt zwar Wirkungen in die Ferne, aber sie
entscheidet nicht darüber, ob wir es hier mit einer unmittelbaren oder
vermittelten actio in distans zu thun haben. Irrthümlicher Weise hegt J. S.
Mill in seiner inductiven Logik**) die Meinung, die Verwerfung der unmittelbaren
actio in distans gründe sich vornehmlich oder lediglich auf das natürliche
Vorurtheil, dass das, was unbegreiflich ist, auch unmöglich sein müsse.
Freilich giebt es Vieles, was unbegreiflich ist, und doch darum nicht verworfen
werden darf. Die Unbegreiflichkeit kann sich hier, abgesehen von subjectiver
Beschränktheit, auf eine Annahme beziehen, die zwar an sich nichts Unmögliches
darbietet, aber eine streng begriffsmässige Erkenntniss oder Beweisführung,
deren es zur vollen Einsicht in das Behauptete bedarf, nicht zulässt. Oder
die Unbe-
*) s. des Verf. Grundzüge einer Molecularphysik S. 11 ff.
**) 3. Abthl. S. 572 f.
[23/24]
greiflichkeit bezieht sich auf eine Thatsache, deren Erklärungsgründe
noch nicht gefunden sind, vielleicht auch niemals gefunden werden können.
So nennt man wohl auch ein empirisches Gesetz unbegreiflich, so lange es nicht
als eine nothwendige Folge aus gewissen Bedingungen abgeleitet werden kann.
Anstatt nun zu sagen: was unbegreiflich, ist unmöglich, muss es vielmehr
heissen: was in sich widersprechend, ist unmöglich und schlechthin
unbegreiflich. Dieser Satz gilt auch in Rücksicht einer unmittelbaren actio
in distans. Dieselbe ist nicht blos unbegreiflich, etwa in dem Sinne, wie
unseren Vorfahren die Antipoden unbegreiflich waren, sondern auch mit Widersprüchen
behaftet*), und lediglich darum zu verwerfen. Mill, der diese Widersprüche
nicht erkannte, befindet sich abermals im Irrthum, wenn er im Hinblick auf
Newton sagt**), dass derselbe nicht fähig gewesen, seine Vorstellung von
der Gravitation zu realisiren, weil ihm sonst nicht die Nothwendigkeit irgend
eines die Gravitation vermittelnden Agens hätte unzweifelhaft scheinen können.
Freilich gewöhnte man sich, nachdem Newton das Gravitationsgesetz begründet
hatte, an den Gedanken einer unmittelbaren Wirkung in die Ferne, indem man die
Gravitation ohne Weiteres mit einer unmittelbaren gegenseitigen Anziehung der Körper
identificirte, und dabei, im Gegensatze zu Newton, gänzlich übersah,
dass jenes Gesetz gar nichts darüber aussagt, ob eine solche Wirkung in der
That existirt oder nicht. - Im Uebrigen versteht es sich von selbst, dass, wenn
eine unmittelbare actio in distans nicht statt hat, dann die Sonne auch nicht
unmittelbar die Erde beleuchten und erwärmen kann; daher sich denn die
Annahme eines Aethers als nothwendig ergiebt (s. Nr.9.).
17. Wir haben erkannt, dass es die Widersprüche im Begriff
der gegebenen Veränderungen sind, welche das Denken nöthigen, den
Begriff der Ursache zu erzeugen, so dass sich denn schon mit dem Gedanken einer
möglichen Veränderung die Nothwendigkeit, ihr eine Ursache
vorauszusetzen, verknüpft. Daher ist auch für Alles, was in den
entferntesten Theilen der Sternenregion geschehen mag, eine Ursache anzunehmen,
mögen auch die besonderen Ereignisse, die dort stattfinden, noch so sehr
von den uns bekannten abweichen. Sonach ist der Causalbegriff weder das Werk
einer blossen Induction, noch
*) s. Grundz. der Molecularphysik. S.5ff.
**) Inductive Logik. Einleitung S. 34.
[24/25]
im Kant'schen Sinne ein Verstandesbegriff a priori, sondern das
Erzeugniss eines nothwendigen Denkens über das Gegebene, sobald der im
Begriff einer ursachlosen Veränderung liegende Widerspruch ins Bewusstsein
tritt.
18. Es erhebt sich nun die Frage, ob die Ursache ihrer Wirkung
der Zeit nach vorausgehe, oder ob beide, Ursache und Wirkung, streng
gleichzeitig seien. Gewiss geht die Wirkung ihrer Ursache nicht voran; es kann
aber auch die Ursache, wenn sie einmal vorhanden ist und entgegenstehende
Hindernisse nicht obwalten, mit ihrer Wirkung nicht zögern, sich nicht
gewissermassen noch besinnen auf das, was sie zu thun hat. Wir müssen daran
festhalten, dass das, was man Ursache nennt, nur dann Ursache ist, wenn es
wirkt. Lässt man Ursache und Wirkung durch einen, wenn auch noch so kleinen
Zeitabschnitt von einander getrennt sein, so sind sie beide auf ewig von
einander getrennt, d. h. die Wirkung kann unter jener Voraussetzung gar nicht
als Wirkung dessen, was man Ursache nennt, angesehen werden. Sind also die
Bedingungen - d.i. die Ursache - eines Ereignisses vollständig gegeben, so
muss dasselbe sofort ohne die mindeste Zögerung erfolgen, wenn es überhaupt
auf Grund der gegebenen Bedingungen erfolgen soll.
Der nothwendige Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, der
nicht blos eine logische, sondern auch eine reale Bedeutung hat, erlaubt nicht,
die Wirkung von ihrer Ursache zeitlich zu trennen. Eine solche Trennung würde
den Causalbegriff geradezu aufheben. Dieser Begriff schliesst keine
Zeitbestimmung ein, daher sich aus ihm die Succession der Begebenheiten auch
nicht ohne Weiteres erklären lässt*).
*) Der logische Zusammenhang zwischen Grund und Folge darf
allerdings nicht mit dem Zusammenhange zwischen Ursache und Wirkung identificirt
werden, obwohl der Begriff der Ursache dem Begriff des Grundes logisch
untergeordnet ist. Ursache und Wirkung sind, wie Grund und Folge, Begriffe, die
sich nothwendig auf einander beziehen, so dass der eine ohne den andern
widerspruchslos nicht gedacht werden kann. Und wie der Grund, aus dem eine Folge
entspringt, in einer Verbindung (Zusammenfassung) mehrerer zusammengehöriger
Gedanken besteht, so muss auch die Ursache, aus welcher eine Wirkung hervorgeht,
ein Mehrfaches sein, das sich gegenseitig bestimmt. Allein man darf doch nicht,
wie es so häufig geschieht, eine Ursache, die etwas bewirkt, verwechseln
mit einem Grunde, aus dem etwas folgt, und sich die Wirkungen nach Art der
logischen Folgen denken. Mit dieser Verwechselung in unmittelbarem Zusammenhange
steht die zwischen Real- und Erkenntnissprincipien, sowie auch der Umstand, dass
man logische Beziehungen [25/26]
19. Die Succession der natürlichen Ereignisse beruht
lediglich auf Bewegung, die allerdings zeitlich bestimmt ist und ohne Succession
nicht gedacht werden kann. Die Bewegung ist hier eine Voraussetzung neu
eintretender Causalität. Soll ein Ereigniss eintreten, so müssen seine
Bedingungen vollständig beisammen sein, was gar häufig erst in Folge
vorausgegangener Bewegung statt haben kann. So erfordert die chemische Action,
dass die Theilchen verschiedener, räumlich getrennter Stoffe erst bis zur
Berührung einander nahe kommen. Vermöge ihrer wechselseitigen
Reaction, die an sich keine Zeitbestimmung einschliesst, vereinigen sich die
Theilchen solcher Stoffe in einem bestimmten Verhältniss zu einem neuen Körper.
Diese Verbindung vollzieht sich indess nicht plötzlich, sondern successiv,
falls die betreffenden Theilchen erst nach einem Durchgange durch verschiedene
labile Lagen untereinander jenes stabile Gleichgewichtsverhältniss
eingeben, welches die geschlossene chemische Verbindung charakterisirt. Ebenso
erfordert auch die Erscheinung der galvanischen oder volta'schen Elektricität
eine Berührung verschiedenartiger Körper. Die Berührung ist hier
eine äussere (formale) Bedingung der genannten Erscheinung, während
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 25] der Begriffe als reale
setzt, und die logische Abhängigkeit der Begriffe von einander als ein
Abbild der wirklichen Abhängigkeit der Dinge von einander ansieht. Sehr
auffällig zeigt sich dies in der Lehre des Spinoza (s. Thilo in Zeitschr. für
exacte Philos. Bd. VI. S. 118 ff.) und überhaupt in den monistischen
Systemen der Philosophie. So wird das logische Begriffsverhältniss des
Allgemeinen und Besondern als ein reales gesetzt, d. h. das Allgemeine, welches
als gemeinsames Merkmal in allen ihm untergeordneten Begriffen vorkommt, als die
Ursache des Besonderen gedacht, wobei freilich übersehen wird, dass, obwohl
das Allgemeine als Merkmal in allen ihm untergeordneten Begriffen, doch das
Besondere der letzteren nicht als Merkmal in jenem enthalten ist, und daher auch
aus demselben nicht folgen kann. Dessenungeachtet werden die besonderen
Begriffe, weil sie von den zugehörigen allgemeinen abhängen, d. h.
ohne dieselben nicht gedacht werden können, als Wirkungen von diesen -
scheinbar unabhängigen - Begriffen angesehen, und somit das Verhältniss
logischer Abhängigkeit als ein Verhältniss der realen Abhängigkeit
der Wirkung von ihrer Ursache genommen. Im Uebrigen ist nicht zu verkennen, dass
der Gedanke des Abfliessens des Besondern aus dem Allgemeinen, oder, mit andern
Worten, der Gedanke des Allgemeinen, welches sich besondert, falls man nicht
wider die Erfahrung allen Wechsel und alles zeitliche Geschehen leugnen und
annehmen will, dass alles Begründete - die Gesammtheit der Folgen -
simultan mit seinem ganzen Grunde sei, unvermeidlich den in sich
widersprechenden Begriff des absoluten Werdens nachzieht, daher schliesslich
zwischen jener Ansicht und der Logik, in Ansehung ihrer wichtigsten und
allgemein anerkannten Grundsätze, ein absoluter Zwiespalt zu Tage tritt.
[26/27]
die reale Bedingung derselben in der materiellen Beschaffenheit
der betreffenden Körper selbst liegt. Gewiss findet zwischen den letzteren
im Moment ihrer Berührung sofort eine Wechselwirkung statt, die an sich
wiederum keine Zeitbestimmung einschliesst, wogegen die Verbreitung des
elektrischen Vorganges, sofern derselbe mit irgend einer Bewegung der kleinsten
Theilchen jener Körper verknüpft ist, einen zeitlichen Verlauf haben
muss. Auf analoge Weise verhält es sich bei dem Stosse der Körper.
Wenn eine Masse mit einer gewissen Geschwindigkeit eine andere trifft, so wird
die Action der ersten, indem sie in den Raum der zweiten einzudringen sucht,
zugleich mit einer Reaction der letzteren verknüpft sein. Während jene
Masse Geschwindigkeit verliert, wird gleichzeitig die zweite Geschwindigkeit
gewinnen. In Ansehung jedes einzelnen Körpers wird aber die Wirkung des
Stosses, die an der Berührungsebene beider Körper beginnt, sich nur
successiv durch die Masse verbreiten können. Die vom Stosse zunächst
betroffenen Theilchen an der Oberfläche werden nach innen gedrängt. In
dem Moment, wo dies geschieht, ändert sich auch das Spiel der Molecularkräfte
zwischen den eben genannten und ihren nächstbenachbarten - mehr nach innen
gelegenen - Theilchen. Die letzteren werden ebenfalls nach innen gedrängt,
aber das unter den obwaltenden Umständen mögliche Maximum der
Geschwindigkeit werden sie immer erst gewinnen, nachdem die vom Stosse zunächst
betroffenen Theilchen sich eine gewisse Strecke hindurch nach innen zu bewegt
haben; u. s. f. Kurz: die Succession aller Naturereignisse ist in Bewegungsvorgängen
begründet, mögen die letzteren nun in dieser oder jener Form
auftreten.
Es ist nun leicht zu erkennen, dass die Dinge der Natur in einem
vielfachen dauernden Causalverhältnisse zu einander stehen, welches zwar zu
Ereignissen in zeitlicher Form führen kann und unter bestimmten Umständen
wirklich vielfach führt, aber an sich keine Bestimmung der Zeitfolge
einschliesst. So sind in den verschiedenen chemischen Grundstoffen die letzten
realen Elemente durch ihre Wechselwirkung (zu kleinsten Massentheilchen) mit
einander verbunden, dergestalt, dass sie wo[h]l in Ansehung ihrer inneren
Reactionszustände und der damit verknüpften Gleichgewichts-, und
Bewegungsverhältnisse eine mannigfache Aenderung erleiden aber nicht völlig
von einander gelöst werden können, während die aus ihnen
gebildeten Massentheilchen sich unter verschiedenen Um-[27/28]ständen auf
mannigfache Weise mit einander verbinden oder von einander trennen. Auch die
Schwere oder im weiteren Sinne die Gravitation bezeichnet ein permanentes
Causalverhältniss, durch welches alle Körper auf eine bestimmte Weise
dauernd mit einander verknüpft sind.
20. Aus unseren obigen Betrachtungen ist zu entnehmen, dass die
vollständige Ursache eines Phänomens niemals ein schlechthin Einfaches
sein kann, sondern stets ein Mehrfaches - Zusammengesetztes - sein muss. Auch
bezeugt die Erfahrung in gar vielen Fällen die Mannigfaltigkeit dessen, was
als Ursache einer Naturerscheinung anzusehen ist; daher wir denn schon oben die
Ursache eines Ereignisses als den Inbegriff seiner Bedingungen bezeichnet haben.
Selbstverständlich sind damit vorerst die näheren oder nächsten
Bedingungen gemeint, von denen das Ereigniss abhängt. Diese Bedingungen können
wiederum bedingt sein, so dass Reihen von bedingten und bedingenden Gliedern
entstehen. Doch kann keine dieser Reihen rückwärts in's Unendliche
gehen, wenn sie eine reale Bedeutung haben soll. Ist jedes Glied einer solchen
Reihe durch ein vorhergehendes bedingt, und so rückwärts in's
Unendliche, so besteht dieselbe aus lauter bedingten Gliedern, von denen kein
einziges wirklich existirt. Irgend welche Glieder müssen die letzten nicht
weiter bedingten sein, wenn überhaupt etwas geschehen soll. Die letzten
bedingenden Glieder der Naturerscheinungen sieht die theoretische Naturforschung
in den Atomen und deren Wechselwirkung.
21. Man weiss nun ferner, dass in der gewöhnlichen
Betrachtung der Dinge und Ereignisse gar häufig die eine oder andere
Bedingung vorzugsweise in's Auge gefasst und als Ursache bezeichnet wird, während
man die anderen Bedingungen entweder ganz übersieht oder im Stillen
voraussetzt. Sind alle Bedingungen eines Ereignisses bis auf eine gegeben, so
wird man diese, wenn sie hinzutritt und nun das Ereigniss erfolgt, als dessen
Ursache betrachten. So pflegt man wohl auch die Beseitigung eines Hindernisses
als die Ursache eines Ereignisses anzusehen.
Neuerdings hat Wundt *) die Bemerkung gemacht, dass, wenn man
einen Stein zur Erde fallen lasse, dem Phänomen des Fallens
*) Die physikalischen Axiome und ihre Beziehungen zum
Causalprincip. Erlangen 1866. S. 98.
[28/29]
die Erhebung des Steins auf eine gewisse Höhe vorangehe:
die Erhebung sei die wahre Ursache des Falls; die Schwere sei nur eine
permanente Bedingung, unter der gewisse Ursachen gewisse Wirkungen erzeugen können.
Die Schwere erzeugt nicht den Fall des Körpers, sondern die Erhebung
erzeugt ihn, und in ihr ist sogar jene permanente Bedingung der Schwere schon
eingeschlossen, da die Erhebung mit der Ueberwindung der Schwere verbunden ist."
Gegen den Ausspruch, dass die Schwere eine permanente Bedingung
sei, unter welcher gewisse Ursachen gewisse Wirkungen erzeugen können, wird
Niemand Erhebliches einzuwenden haben. Was dagegen den Fall des Steins betrifft,
so dürften wohl Viele gerade umgekehrt die Schwere als die wahre Ursache
der Fallbewegung, hingegen die Erhebung des Steins auf eine gewisse Höhe
als eine Bedingung ansehen, welche erfüllt werden muss, damit an diesem
Steine, der zuvor auf der Erde lag, die Wirkung der Schwere als Fallbewegung zu
Tage treten könne. Die Erhebung ist nur unter besonderen Umständen,
wie sie allerdings gewöhnlich vorkommen, eine Bedingung oder, wenn man
will, eine Ursache der Fallbewegung. Allein die Erhebung als solche erzeugt
nicht den Fall des Körpers; vielmehr würde dieser, wenn ihm durch
irgend eine Ursache eine aufwärts gerichtete Bewegung ertheilt wird, sich
mit der empfangenen Geschwindigkeit immer weiter erheben, wenn nicht die Schwere
eine Verzögerung dieser Bewegung herbeiführte und den Körper
endlich abwärts triebe. Die Aeusserung Wundt's, dass die Erhebung des Körpers
die permanente Bedingung der Schwere schon einschliesse, indem die Erhebung mit
der Ueberwindung der Schwere verbunden sei, bedeutet eben nur dies, dass die
Schwere die eigentliche Bedingung oder Ursache der Fallbewegung ist. Sieht man
die Erhebung als die Ursache des Falls an, so kann hier freilich zwischen
Wirkung und Ursache eine beliebig grosse Zeit liegen. Denn anstatt den Körper
in einer gewissen Höhe sich selbst zu überlassen, kann man denselben
auf eine feste Unterlage legen, die mit der Erde in Verbindung steht. Die
Unterlage erscheint dann als ein Hinderniss und die Beseitigung desselben als
Ursache der Fallbewegung.
Was man nun auch unter diesen oder neuen Umständen als
Ursache eines Phänomens ansehen mag: es steht doch in allen Fällen
fest, dass das Ereignis sofort erfolgt, wenn die Bedingungen desselben vollständig
gegeben sind.
[29/30]
22. Erst im Hinblick auf die Zusammengesetztheit der Ursachen
ergibt sich das richtige Verständniss der Sätze: Gleiche Ursache
gleiche Wirkung, und ungleiche Ursache ungleiche Wirkung. Jener Satz bedeutet,
dass ein und derselbe Complex von Bedingungen
ABC
.... immer denselben Erfolg mit sich führen wird, der
andere hingegen, dass verschiedenartige Complexe von Bedingungen mit
verschiedenen Erfolgen verknüpft sein werden, wobei indess nicht
ausgeschlossen ist, dass diese Erfolge wegen gewisser gemeinsamen Umstände
in den verschiedenen Complexen neben den specifischen Differenzen auch etwas
Gemeinsames darbieten. Bezieht man den Ausdruck Ursache" auf ein
einzelnes Agens
A
,
B
oder
C
etc., so kann der Satz: Gleiche Ursache gleiche Wirkung nur
dahin gedeutet werden, dass dieses Agens unter denselben Umständen -
Mitbedingungen - stets dieselbe Wirkung haben wird, was denn auf den obigen
Ausspruch zurückkommt. Unter verschiedenen Umständen kann dasselbe
Agens verschiedene (resp. entgegengesetzte) Erfolge haben. So weiss man, dass
die Wärme eine chemische Vereinigung gewisser differenter Stoffe herbeizuführen
vermag, wogegen die bereits mit einander verbundenen Stoffe durch den Einfluss
der Wärme wieder von einander getrennt werden können. Ebenso kann die
Wärme das Entstehen des Magnetismus begünstigen, den schon vorhandenen
Magnetismus aber auch schwächen. Dasselbe gilt in Rücksicht des
Magnetismus von einer mechanischen Erschütterung. Auf analoge Weise wird
jede Bewegungsursache unter verschiedenen Umständen verschiedene Erfolge
haben. So kann ein bewegter Körper einen ändern ruhenden in Bewegung
setzen, einen bewegten hingegen, mit dem er zusammentrifft, unter gewissen Umständen
zur Ruhe bringen. Betrachten wir die Schwere als Bewegungsursache, so finden wir
in ihr ein permanentes Causalverhältniss, vermöge dessen die Theilchen
der Körper einen fortwährenden Antrieb zu einer Bewegung nach dem
Mittelpunkte der Erde hin empfangen. Daraus entspringt für einen Körper,
der sich in einer gewissen Entfernung von dem bezeichneten Mittelpunkte
befindet, abgesehen von allem Andern, eine gleichförmig beschleunigte
Bewegung. Befindet sich aber der Körper in einer widerstehenden Flüssigkeit,
so geschieht die Fallbewegung desselben, in Folge seiner Wechselwirkung mit den
Theilchen des Mediums, die von ihm in Bewegung gesetzt werden, mit abnehmender
Beschleunigung. Die Bewegung nähert sich hier mehr und mehr einer gleichförmigen,
[30/31] obwohl die Schwere auf den Körper selbst ganz ebenso wirkt, als ob
das widerstehende Medium nicht vorhanden wäre. Dies ist auch dann noch der
Fall, wenn der Körper der Wirkung der Schwere entgegen aufsteigt, was
bekanntlich geschehen wird, wenn sein specifisches Gewicht geringer ist als das
der umgebenden Flüssigkeit. Die Schwere strebt unausgesetzt den Körper
abwärts zu treiben; allein sie wirkt auch auf die Theilchen der umgebenden
Flüssigkeit, welche gegen den Körper von unten nach oben einen Druck
ausübt, der gleich ist dem Gewichte der von dem Körper aus ihrer
Stelle verdrängten Flüssigkeitsmasse. So wird die Bewegung des Körpers
in Wirklichkeit bestimmt: erstens durch das Streben seiner Theilchen zu fallen,
oder, wie man kurz sagt, durch sein Gewicht, welches sich als eine Kraft
vorstellen lässt, die im Schwerpunkte des Körpers vertikal abwärts
wirkt, und zweitens durch die Pressungen, welche die schwere Flüssigkeit
von unten nach oben auf den Körper ausübt. Die Resultirende aller
dieser einzelnen Pressungen geht durch den Schwerpunkt der von dem Körper
verdrängten Flüssigkeitsmasse, und wirkt der Fallbewegung des Körpers
im vertikalen Sinne - von unten nach oben - entgegen. Es wird also der Erfolg,
welchen die Schwere als Bewegungsursache in Rücksicht eines bestimmten Körpers
hat, je nach den Umständen ein verschiedener sein.
Wir führen in dieser Beziehung noch ein Beispiel an,
welches Grove*) benutzt, um darzuthun, dass das, was man insgemein als Ursache
einer Erscheinung bezeichnet, nicht in einem absoluten Sinne als Ursache
derselben genommen werden dürfe. Wenn man eine Schleuse lichtet,
heisst es, so läuft das Wasser. In der gewöhnlichen Redeweise sagt
man, dass das Wasser läuft, weil die Schleuse gehoben ist. Die Folge ist
unveränderlich: keine wirkliche Schleuse kann aufgezogen werden, ohne dass
das Wasser läuft, und doch ist es in einem anderen, wahrscheinlich
richtigeren Sinne die Schwere des Wassers, welche sein Laufen verursacht.
Inzwischen, ungeachtet wir mit Wahrheit, in diesem Falle, sagen können,
dass die Schwere des Wassers die Ursache seines Falles ist, können wir
diesen Ausdruck nicht im absoluten Sinne nehmen und ganz allgemein sagen, dass
die Schwere die Ursache sei, welche immer das
*) Die Wechselwirkung der physischen Kräfte, deutsch von E.
v. Russdorf. 1863. S. 9. - Eine Anzeige dieses Buches vom Verf. vorlieg. Schrift
s. in Zeitschr. für exacte Philosophie, Bd. III.
[31/32]
Wasser fliessen macht, weil das Wasser aus anderen Ursachen
fliessen kann, zum Beispiel unter der Wirkung der Elasticität eines Gases,
welches das Wasser zwingt, aus einem mit Luft gefüllten Recipienten in
einen anderen zu strömen, den man luftleer gemacht hat. Im Uebrigen kann
die Schwere unter gewissen Umständen das Wasser verhindern zu fliessen,
statt es zum Fliessen zu bringen." Der hier vorliegende Sachverhalt wird
vollkommen klar erscheinen, wenn man den gewissen Umständen" in
jedem gegebenen Falle die gehörige Beachtung schenkt. Bei dem Allen ist
aber, mindestens im Stillen, noch auf eine Bedingung zu reflectiren, ohne welche
weder die Schwere noch eine andere Ursache ein Fliessen des Wassers bewirken könnte.
Diese Bedingung ist die charakteristische Eigenschaft tropfbar flüssiger Körper,
nämlich die leichte Beweglichkeit ihrer Theilchen und die gleichmässige
Fortpflanzung eines empfangenen Druckes nach allen Richtungen. Gefrornes Wasser
fliesst nicht.
23. Es bedarf wohl kaum noch der Erinnerung, dass die oben (Nr.
22) hervorgehobenen Sätze nicht in dem Sinne zu nehmen sind, als ob eine
Naturerscheinung nur auf eine Weise herbeigeführt werden oder entstehen könne.
Wenn viele Dinge in einem complexen Causalverhältnisse miteinander stehen,
so können verschiedenartige Störungen dieses Verhältnisses recht
wohl eine Erscheinung von derselben Art bewirken, obwohl es dabei auch nicht an
specifischen Differenzen fehlen wird, welche der Ungleichheit der Ursachen
entsprechen. Beispielsweise sei hier an die verschiedenen Wärmequellen
erinnert. Zuvörderst haben wir die Sonne als die wichtigste Ursache der Wärmeerregung
auf Erden; aber auch durch Reibung, Stoss, durch die chemische Action und
Elektricität kann eine Wärmeerregung stattfinden. Fassen wir dies im
Sinne der atomistischen Theorie auf, so haben wir uns zunächst jeden Körper
als ein System von gewissen Grund- und Aetheratomen vorzustellen, welche durch
attractive und repulsive Kräfte mit einander verknüpft sind. Die Räume
zwischen den Körpern sind von Aetheratomen erfüllt, die zusammen ein
elastisches Medium bilden. Die Wärme selbst, wie sie sich an der Materie
kundgibt, besteht in einer Bewegung der kleinsten Theilchen in oscillatorischer
Form. Es ist nun leicht erkennbar, dass eine solche Bewegung durch mannigfache
Störungen jenes Causalverhältnisses - in Rücksicht der räumlichen
Beziehungen der kleinsten Theilchen - ver-[32/33]anlasst werden kann: nicht
allein durch die Undulationen des Aethers, welche von der Sonne ausgehen und die
Oberfläche der terrestrischen Körper treffen, sondern auch durch Stoss
und Reibung, durch die chemische Action und den elektrischen Strom. In allen
diesen Fällen wird eine oscillatorische Bewegung der kleinsten Theilchen
nicht ausbleiben können, da z. B. bei dem Stoss und der Reibung
verschiedener Körper mit der Verschiebung grösserer Partikeln auch
eine Bewegung der Atome verknüpft sein muss, welche Bewegung, insofern die
Atome selbst unauflöslich zu kleinsten Massentheilchen miteinander
verbunden sind, nur in oscillatorischer Form auftreten kann. Es werden aber
diese verschiedenartigen Fälle der Wärmeerregung neben dem Gemeinsamen
auch Besonderheiten darbieten, was die Erfahrung denn auch wirklich bekundet, so
dass der Satz: ungleiche Ursache ungleiche Wirkung sich auch hier als giltig
erweist, zumal wenn man nicht allein auf die Wärmeerscheinung als solche,
sondern auch auf die sonst dabei vorkommenden Aenderungen das Augenmerk richtet.
Doch zeigt auch in Rücksicht der Wärme schon jeder einzelne der
bezeichneten Fälle mannigfache Differenzen, je nachdem die von der Sonne
ausgehenden Undulationen des Aethers diesen oder jenen Körper treffen, oder
je nachdem Körper von solcher oder anderer Beschaffenheit sich aneinander
reiben oder gegeneinander stossen u. s. w. Analoges findet sich in Ansehung der
chemischen Processe, durch welche ein und derselbe Grundstoff oder eine und
dieselbe chemische Verbindung, die aus gewissen Grundstoffen besteht, auf
verschiedene Weise dargestellt wird.
24. Die Ursache ist also immer ein mehr oder minder
Zusammengesetztes, eine Combination verschiedener Umstände oder Factoren,
von denen die Wirkung, wie man sagt, eine Function ist. Lässt sich nun
diese Function, die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, in mathematischen
Form aufstellen, dergestalt, dass die einzelnen Glieder derselben messbar sind,
so können auch Wirkung und Ursache als Grössen gemessen werden. Dies
gilt in Rücksicht der räumlichen Bewegungserscheinungen, indem hier
die Ursache alles dasjenige ist, was Bewegung hervorbringt oder hervorzubringen
(resp. zu verhindern) sucht, und durch seine Wirkung gemessen werden kann.
Reflectiren wir beispielsweise auf die bekannte Formel
v
=
t
, wo
v
die Geschwindigkeit bedeutet, welche ein Körper von der
Masse
m
während der Zeit
t
durch eine [33/34] constante Kraft =
k
erhält, so findet sich, dass dieselbe auf einen
Causalzusammenhang hinweist, der die Grössen
v
,
k
,
m
und
t
als Glieder in sich fasst. Die Formel zeigt, wie die
Geschwindigkeit
v
von
k
,
m
und
t
abhängt: sie nimmt zu mit der Grösse
k
der Kraft und der Dauer
t
ihrer Einwirkung, dagegen ab mit der Masse
m
des zu bewegenden Körpers. Unter der Kraft können wir
uns hier immer einen constanten Zug oder Druck vorstellen, der während der
Zeit
t
auf einen Körper von der Masse
m
stetig wirkt, gleichviel ob dieser Druck von einer gespannten
Feder, von einem comprimirten Gase, von gespannten Wasserdämpfen oder
dergl. ausgeht, vorausgesetzt nur, dass er während der Zeit
t
stetig mit gleicher Stärke in derselben Richtung wirkt.
Das betreffende Causalverhältniss besteht nun eigentlich zwischen dem Körper
von der Masse
m
und jenem anderen, von dem der Druck =
k
ausgeht. Die aus diesem Causalverhältniss resultirende
Geschwindigkeit des Körpers ist aber eine Funktion nicht allein dem Druckes
k
und der Masse
m
, die ihn aufnimmt, sondern auch von der Dauer
t
des stetig wirkenden Druckes, welcher die Bewegung des Körpers
beschleunigt, indem die dem Körper in jedem Zeitelement ertheilte
Geschwindigkeit beharret, und daher die successiv erzeugten Geschwindigkeitszuwüchse
sich summiren. Dieselbe Formel giebt umgekehrt die Grösse der Kraft
k
=
oder, wenn
t
= 1,
k
=
v
.
m
.
25. Wirkt ein constanter Druck =
k
durch den Weg
s
auf einen Körper von der Masse
m
, und ist die Geschwindigkeit des letzteren am Ende dieses Weges
=
v
, so bezeichnet das Product
k.s
bekanntlich die mechanische Arbeit, welche die Kraft
k
leistete, während sie die Masse
m
in die Geschwindigkeit
v
versetzte. Nach der Lehre von der gleichförmig
beschleunigten Bewegung, für welche hier die Formeln
v
=
und
s
=
t
2
gelten, ergiebt sich leicht, wenn man den Werth
t
=
v
in die zweite Gleichung setzt,
s
=
und
k. s
=
, was sagen will, dass jene mechanische Arbeit gleich dem halben
Product aus der Masse in das Quadrat der Geschwindigkeit ist.
Wenn man nun, wie Wundt*), in Hinsicht auf die Formel
k.s
=
mv
2
das Product
k. s
als Ursache und
mv
2
als Wirkung -
*) Die physikalischen Axiome etc S. 103 f.
[34/35]
oder umgekehrt - bezeichnet, so kann das nicht als ein strenger
Ausdruck des hier vorliegenden Causalnexus genommen werden. Der letztere besteht
hier wiederum zwischen dem Körper von der Masse
m
und jenem anderen, dem man die Kraft =
k
zurechnet. Aus diesem Causalverhältniss resultirt als
Wirkung die Geschwindigkeit
v
, die der Körper nach Zurücklegung des Weges
s
besitzt, und mit der er nach dem Gesetz der Beharrung fortgeht,
wofern die Kraft
k
am Ende des Weges
s
zu wirken aufhört. Stellt sich aber der Bewegung des Körpers
ein Hinderniss entgegen, so wird sich seine Geschwindigkeit bei Bekämpfung
dieses Hindernisses, indem sie an dasselbe übergeht, allmählig erschöpfen,
wobei er eine Arbeit leistet, die gleich ist dem halben Product aus seiner Masse
in das Quadrat der Geschwindigkeit, womit er dem Hindernisse begegnete. Darnach
ist also die mechanische Arbeit, welche eine constante Kraft zu leisten hat, um
eine ruhende Masse
m
in die Geschwindigkeit
v
zu versetzen, genau so gross, als die Arbeit, welche diese
Masse mit dieser Geschwindigkeit wieder leisten kann, bis sie zur Ruhe gelangt.
Beide Arbeiten finden ihr Mass in dem Ausdruck
mv
2
.
Will man nun in Rücksicht der Formel
k.s
=
mv
2
das Product
k.s
als Ursache und
mv
2
als Wirkung ansehen, so lässt sich damit nur der Sinn
verknüpfen, dass die mechanische Arbeit, welche die Kraft
k
leistet, indem sie der ruhenden Masse
m
auf dem Wege
s
die Geschwindigkeit
v
ertheilt, die Ursache ist, dass diese Masse mit dieser
Geschwindigkeit eine eben so grosse Arbeit leisten kann. Uebrigens ist es nicht
richtig, wenn Wundt meint, dass die Wirkung
mv
2
der Ursache
k.s
in verschwindend kurzer Zeit folge, falls eine Masse
m
mit einer Kraft
k
auf einer Ebene ohne Reibung fortbewegt werde, so dass die
Masse nach Zurücklegung des Weges
s
die Geschwindigkeit
v
erlange. Der Körper gewinnt hier in Folge seines
Causalverhältnisses mit
k
eine Bewegung, deren Geschwindigkeit stetig zunimmt, wenn jenes
Verhältniss auf dem Wege
s
in constanter Weise fortdauert. Hat nun die Masse
m
nach Zurücklegung des Weges
s
die Geschwindigkeit
v
, so besitzt sie damit zugleich die Fähigkeit, eine
mechanische Arbeit =
mv
2
zu verrichten, wofern sich dazu eine Gelegenheit darbietet.
Sonst geht die Masse mit der am Ende des Weges
s
erlangten Geschwindigkeit gleichförmig fort, bis sich ihr
irgend ein Hinderniss entgegenstellt. Zwischen der mechanischen Arbeit
k.s
, welche der Masse
m
die Geschwindigkeit
v
ertheilt, und der me-[35/36]chanischen Arbeit =
mv
2
, welche diese Masse mit dieser Geschwindigkeit verrichten kann,
ist auch hier, und nicht blos in dem von Wundt hervorgehobenen Beispiele, eine
beliebig grosse Zeit denkbar.
Obwohl wir die Erhebung eines Körpers auf eine gewisse Höhe
nicht gerade als die eigentliche Ursache seines Falles betrachten können
(s. Nr. 20), so ist uns doch ersichtlich, dass die auf die Erhebung des Körpers
verwendete mechanische Arbeit ihrer Grösse nach in einer bestimmten
Beziehung zu der Arbeit stehen muss, welche die Schwere selbst leistet, indem
sie dem Körper beim Herabfallen von jener Höhe eine gewisse
Endgeschwindigkeit ertheilt. Beide Arbeiten müssen nämlich einander
gleich sein, was sofort daraus erhellt, dass die Schwere in gleicher Weise, wie
sie das Aufsteigen des Körpers verzögert, das Fallen desselben
beschleunigt. Erhält der Körper durch irgend eine Ursache eine aufwärts
gerichtete Bewegung mit der Anfangsgeschwindigkeit
v
, so erhebt er sich bekanntlich auf eine Höhe
s
=
. Nun wird hierbei der Widerstand der Schwere, d. i. das Gewicht
k
des, Körpers, überwunden, und daher die mechanische
Arbeit
k.s
= k.
=
verrichtet. In dem Moment aber, wo die anfängliche
Geschwindigkeit
v
des Körpers durch die verzögernde Wirkung der Schwere
erschöpft ist, bedingt die letztere, befreit von dem bisherigen
Widerstande, die Fallbewegung des Körpers, dessen Endgeschwindigkeit nach
Zurücklegung des Fallweges
s
bekanntlich =
v
, d.h. gleich jener Anfangsgeschwindigkeit ist. Und so ist denn
auch die Arbeit, welche die Schwere als eine constante Kraft leistet, indem sie
den Körper von dem Gewichte
k
oder der Masse
m
=
in die Geschwindigkeit
v
versetzt, =
mv
2
.
26. Es ist bekannt, dass der Begriff der mechanischen Arbeit in
nächster Beziehung steht mit dem Princip der Erhaltung der lebendigen
Kraft. *) Dieser letzte Ausdruck bezeichnet eben das halbe Product aus der Masse
in das Quadrat der Geschwindigkeit eines bewegten Körpers, also die Grösse
mv
2
, durch welche auch die mechanische Arbeit gemessen wird. Die
lebendige Kraft einer bewegten Masse bedeutet sonach ihre Arbeitsfähigkeit,
d.i. die Grösse der Arbeit, welche sie unter Umständen leisten kann.
Trifft z. B.
*) Vergl. hierzu: Grundzüge einer Molecularphysik. S. 102.
[36/37]
eine solche Masse eine andere, ruhende oder bewegte, so
verrichtet dieselbe eine bestimmte Arbeit, indem sie der zweiten Masse in einer
gewissen Richtung Geschwindigkeit mittheilt und eine Formänderung dieser
Masse bewirkt. Sind nun beide Massen in einem höheren Grade elastisch und
wird ihre Elasticitätsgrenze bei dem Stosse nicht überschritten, so
nehmen sie ihre ursprüngliche Form wieder an, und es findet dann kein
Verlust an mechanischer Arbeit (oder an lebendiger Kraft) statt. Beide Massen
springen, falls sie von gleicher Grösse =
m
sind, mit vertauschten Geschwindigkeiten zurück. War die
zweite Masse in Ruhe, als die erste sie mit der Geschwindigkeit
v
trat, so gelangt diese zur Ruhe, während jene die
Geschwindigkeit
v
annimmt. Die zweite Masse hat also jetzt dieselbe lebendige
Kraft =
mv
2
, welche vor dem Stosse der ersten zukam. Anders verhält es
sich, wenn beide Massen nur in einem geringen Grade elastisch sind, und der
Stoss eine bleibende Formänderung derselben mit sich führt. In diesem
Falle findet, wie man zu sagen pflegt, ein Verlust an lebendiger Kraft statt. So
werden beispielsweise zwei Bleikugeln von gleicher Masse
m
, wenn die eine mit der Geschwindigkeit
v
die andere in Ruhe befindliche trifft, sich nach dem Stosse
zusammen mit der Geschwindigkeit
fortbewegen. Die lebendige Kraft beider Kugeln ist dann =
=
, mithin die Hälfte der lebendigen Kraft
, welche die eine Kugel vor dem Stosse hatte. Es ist aber in
diesem Falle mit der Formänderung beider Körper eine Wärmeentwickelung
verbunden, ebenso auch, wie man weiss, wenn zwei Körper aneinander gerieben
werden. In allen diesen Fällen gilt bekanntlich das Gesetz, dass ein der
aufgewendeten mechanischen Arbeit proportionales Wärmequantum entwickelt
wird, so dass der Verlust an mechanischer Arbeit oder an lebendiger Kraft nur
ein scheinbarer ist. Die verlorene lebendige Kraft hat nur eine andere Form
angenommen, indem statt der durch den erfahrenen Widerstand gehemmten
progressiven Bewegung des betreffenden Körpers eine besondere Bewegung der
kleinsten Theilchen auftritt, worin das, was man Wärme nennt, objectiv begründet
ist. Ein ganz analoges Verhalten findet sich bei der chemischen Vereinigung
verschiedener Stoffe, indem die gegenseitige Annäherung, welche zwischen
den heterogenen Theilchen dieser Stoffe zunächst statt hat, vermöge
des Auftretens repulsiver Kräfte gehemmt wird, und zu einer Bewegung
[37/38] in oscillatorischer Form, d. i. zu einer Wärme- (resp. Licht-)
Entwickelung führt. Hiernach fällt nun das Princip der Erhaltung der
lebendigen Kraft *) zusammen mit dem Satze von der Aequivalenz der Wirkung mit
ihrer Ursache, oder auch anders ausgedrückt, mit dem Satze von der
Umwandelung verschiedener Kräfte, d. i. verschiedener Bewegungsformen, nach
bestimmten Aequivalentverhältnissen.
27. Schliesslich möge noch einer Deduction a priori gedacht
werden, welche Wundt **) im Hinblick auf eine Reihe allgemeiner physikalischer Sätze
gegeben hat. Diese Sätze lauten: 1) alle physikalischen Ursachen sind
Bewegungsursachen; 2) jede Bewegungsursache liegt ausserhalb des Bewegten; 3)
alle Bewegungsursachen wirken in der Richtung der geraden Verbindungslinie ihres
Ausgangs- und ihres Angriffspunktes; 4) die Wirkung jeder Ursache beharrt; 5)
jeder Wirkung entspricht eine ihr gleiche Gegenwirkung; 6) jede Wirkung ist
aequivalent ihrer Ursache.
Wundt sucht nun darzuthun, dass diese Sätze, die von ihm
Axiome genannt werden, den Gesetzen unserer räumlichen Anschauung conform
sein müssen, indem er für die Deduction eines jeden Axioms die Regel
befolgt: unsere Anschauung von allen Vorstellungen mit Ausnahme derjenigen, auf
welche sich das Axiom bezieht, frei zu machen. Wenn wir uns also die sämmtlichen
Nebenumstände aus der Anschauung hinwegdenken, die zur Darstellung der
Thatsache, auf welche sich das Axiom bezieht, nicht wesentlich sind, so muss die
Wahrheit des Axioms unmittelbar einleuchten, falls dasselbe überhaupt einen
Grund a priori hat.".. Danach glaubt Wundt die von ihm befolgte Methode als
eine experimentale bezeichnen zu können. Die einfachsten Bedingungen
herzustellen, unter denen eine Erscheinung eintreten kann, ist ja die Grundregel
der experimentellen Methode. Axiome a priori zu finden ist also nur ein
Experimentiren mit den eigenen Vorstellungen".
Meines Erachtens sind indess die von Wundt in Rücksicht der
betreffenden Axiome angestellten Experimente vollständig missglückt.
Sieht man genauer nach, so findet sich, dass die Regel, un-
*) Das in seiner heutigen Fassung wohl zuerst von J. N. Mayer
(Annalen d. Chemie von Wöhler und Liebig: Maiheft, 1842) ausgesprochen
wurde.
**) A. a. O. S. 115 ff. S. 120 f.
[38/39]
sere Anschauung von allen Vorstellungen mit Ausnahme derjenigen,
auf welche sich das Axiom bezieht, zu befreien, bei der Ausführung so
ziemlich darauf hinauskommt, aus unserer Anschauung alles dasjenige wegzulassen,
was das Axiom nicht aussagt; es versteht sich denn von selbst, dass eben nur
das, was das Axiom aussagt, übrig bleiben wird. Nehmen wir beispielsweise
das Axiom, dass jede Bewegungsursache in der Richtung der geraden
Verbindungslinie ihres Ausgangs- und Angriffspunktes wirkt. Dasselbe setzt
als Bedingung seiner Vorstellbarkeit, heisst es, schlechterdings nur zwei Punkte
im Raume voraus, von denen der eine auf, den andern eine Kraft ausübt. Nun
müssen wir, der experimentellen Regel folgend, alle andern Vorstellungen
aus unserem Bewusstsein entfernen. Wir dürfen uns also weder andere Punkte
im Raume noch einen Zuschauer vorstellen, der die zwei Punkte beobachtet, d. h.
es existirt für uns überhaupt kein räumliches Verhältniss
mehr als das Lageverhältniss der zwei Punkte zueinander. Dieses Lageverhältniss
ist aber ausschliesslich bestimmt durch die Gerade, welche die beiden Punkte
verbindet. Wenn also der eine Punkt bewegend auf den andern einwirkt, d. h. die
Lage desselben verändert, so kann er nur die Länge jener verbindenden
Geraden verändern, die Wirkung der Bewegungsursache ist also nothwendig
eine gradlinige. Dächten wir uns z. B., die Kraft solle nach einer
gezackten Linie wirken, so dass der bewegte Punkt die zwei Seiten eines Dreiecks
beschrieben zu welchem die verbindende Gerade die Basis ist, so hätten wir
uns dazu einen dritten Punkt gedacht, der seitlich von den zweien liegt, und dächten
wir uns, die Kraft solle in irgend einer Curve wirken, so müssten wir uns
gar unendlich viele Punkte im Raume denken, weil eine Curve zwischen je zwei
unendlich nahe gelegenen Punkten ihre Richtung ändert."
Liegt in diesem Raisonnement wirklich eine Begründung des
in Rede stehenden Axioms? Ich glaube nicht. Es ist aber ersichtlich, dass die
Annahme: die Bewegungsursache solle nach einer gezackten Linie oder in irgend
einer Curve wirken, zu Widersprüchen führt. Angenommen: die
Bewegungsursache, die wir uns mit einem Punkte
A
verknüpft denken wollen, bewege den Punkt
B
zunächst in einer Richtung
BD
, welche mit der Verbindungslinie
AB
beider Punkte einen Winkel einschliesst; dann sollte der Punkt
in der einmal angenommenen Bewegung nach der Richtung
BD
verharren. Aendert sich dagegen die Bewegung in einem Punkte
C
der Linie [39/40]
BD
, dergestalt, dass nun der Punkt in der Richtung
CA
nach
A
hin fortschreitet, so erfordert diese Bewegungsänderung
eine besondere Bewegungsursache, die plötzlich, nachdem die erste Ursache
eine Zeit lang gewirkt hat, in
A
erwacht und nun einen überwiegenden Einfluss auf die
Bewegung des Punktes
B
ausübt. Oder es sind beide nach verschiedenen Richtungen
wirkende Bewegungsursachen zumal und ursprünglich in
A
vorhanden, wo denn der Punkt sich in einer Curve nach
A
hin bewegen wird. Oder endlich: die zuerst angenommene
Bewegungsursache, welche den Punkt
B
zuvörderst nach einer Richtung treibt, die mit der
Verbindungslinie beider Punkte einen Winkel einschliesst, ist selbst in einer
inneren Veränderung begriffen, welche eine Aenderung der Bewegungsrichtung
mit sich führt. Mag man nun dies oder jenes annehmen: man kommt immer zu
inneren Widersprüchen in Ansehung des Dinges
A
, dem man die Bewegung von
B
ursächlich zurechnet. Setzt man einmal zwischen zwei
Dingen
A
und
B
ein attractives oder repulsives Causalverhältniss, so
kann, abgesehen von andern Einwirkungen, die Ortsveränderung von
A
und
B
nur in der geraden Verbindungslinie derselben statt haben.
In Hinsicht auf das Axiom: Jede Bewegungsursache liegt
ausserhalb des Bewegten, stellt sich Wundt zunächst blos einen Punkt vor
und entfernt sonst alles, den Zuschauer mit eingeschlossen, aus der Vorstellung.
Der Punkt bleibt dann in unabänderlicher Ruhe. Wollten wir uns ihn
bewegt vorstellen, so müssten wir uns mindestens einen zweiten Punkt
hinzudenken, gegen den er sich hinbewegt. Einen in der Vorstellung völlig
isolirten Punkt kann ich mir nie in Bewegung vorstellen. Dasselbe gilt für
ein System von Punkten, für einen Körper als Ganzes. Wenn hiermit
bewiesen ist, dass jeder Punkt nur bewegt gedacht werden kann in Bezug auf einen
andern Punkt, so liesse sich jedoch immerhin sagen: die eigentliche Ursache der
Bewegung liegt doch im Bewegten selber, und der äussere Punkt ist nur eine
Bedingung, unter der die Ursache zur Aeusserung gelangt. Hier giebt nun das
Causalgesetz die Entscheidung. Dieses sagt uns: die Ursache ist dasjenige Phänomen,
das zur Hervorbringung der Wirkung unerlässlich ist. Wirkung ist in diesem
Falle die Bewegung. Denkbare Ursachen sind zwei vorhanden: der bewegte Punkt
selbst und der andere, in Bezug auf welchen er sich bewegt. Denke ich mir nun
den zweiten Punkt weg, so hört die Bewegung auf: das Experiment lehrt also,
dass [40/41] dieser letztere die Ursache sein muss. Wir können den hieraus
sich ergebenden Schluss allgemein aussprechen: Bewegungen sind nur denkbar durch
das Zusammensein der Dinge, die Ursache jeder einzelnen Bewegung muss also
ausserhalb des Bewegten liegen."
Das beschriebene Experiment kann hier höchstens lehren,
dass ein Punkt nur bewegt gedacht werden kann in Bezug auf einen andern Punkt.
Daraus folgt aber ganz und gar nicht, dass dieser letztere die Ursache der
Bewegung sein muss. Hört die Bewegung auf, wenn man von dem andern Punkte
absieht, so trifft dies doch eben nur die Vorstellbarkeit der Bewegung von
Seiten des Vorstellenden, und hat gar keine Bedeutung für den objectiven
Sachverhalt. In Rücksicht des letzteren entscheidet allerdings, wenn auch
nicht im Sinne der Wundt'schen Demonstration, das Causalgesetz, vermöge
dessen jede Bewegung, die als eine Wirkung angesehen wird, nothwendig auf eine
Ursache bezogen werden muss. Diese Ursache ist nun entweder eine äussere,
so dass noch ein zweites selbstständiges Ding hinzukommen muss, um die
Bewegung zu begründen, oder dieselbe ist eine innere, im Bewegten selbst
liegende Ursache. Im zweiten Falle bestimmt sich also das Bewegte selbst zur
Bewegung. Allein der Act des Sichselbstbestimmens ist selbst schon eine Veränderung
in dem Zustande des Dinges, das auf solche Weise sich bewegen soll; daher nach
dem Causalprincip jener Act ebenwohl als Wirkung einer tiefer liegenden
Selbstbestimmung angesehen werden muss. Was aber von jener, gilt auch von dieser
Selbstbestimmung. Kurz: man kommt hier auf einen regressus in infinitum, d. h.
auf eine unendliche Reihe, die aus lauter bedingten Gliedern besteht.*) Jede
Selbstbestimmung würde stattfinden, wenn eine andere vorausgegangen wäre;
es kommt keine einzige zu Stande, daher auch keine Bewegung oder sonstige Veränderung.
Wollte man aber sagen, das Heraustreten in dem activen Selbstbestimmen geschehe
absolut d.i. ohne Ursache, so würde dies wieder zu dem in sich
widersprechenden und auch mit einer geläuterten Erfahrung in Widerstreit
stehenden Begriff des absoluten Werdens führen, welcher mit Verwerfung des
strengen Causalprincips einen beständig fortgehenden Wechsel ohne Anfang
und Ende ergiebt. Darum muss eine äussere Bewegungsursache angenommen
werden, oder mit an-
*) s. Herbart: Sämmtliche Werke. Bd. I. S. 200 f.
[41/42]
dern Worten: Bewegungen als Wirkungen sind nur denkbar durch ein
gewisses Zusammensein der Dinge. Wie dieses Zusammensein zu verstehen ist, haben
wir an einem andern Orte auseinander gesetzt (vergl. Nr. 16.).
Die Nothwendigkeit der von Wundt hervorgehobenen Axiome lässt
sich nur durch Aufzeigung der Widersprüche darthun, zu welchen
entgegengesetzte Annahmen führen, mögen nun diese Widersprüche
als innere die realen Dinge betreffen, welche als das Beharrliche den veränderlichen
Erscheinungen zu Grunde gelegt werden, oder mögen dieselben in einem
Widerstreite bestehen, der zwischen den gegentheiligen Annahmen und andern
bereits als wahr anerkannten Sätzen oder Thatsachen sich kundgiebt. Hierauf
und nicht auf das Experimentiren mit den eigenen Vorstellungen dürfte sich
wohl auch dasjenige zurückführen lassen, was in den von Wundt
gegebenen Deductionen etwa als eine wirkliche Begründung jener Axiome
angesehen werden kann.
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