[Text nach: Immanuel Kants Werke; Herausgegeben von Ernst
Cassirer; Berlin 1922; Band II; S. 15-28]
Wenn in einer philosophischen Frage das einstimmige Urteil der
Weltweisen ein Wall wäre, über welchen zu schreiten es vor ein gleich
sträfliches Verbrechen mit demjenigen, welches REMUS beging, müßte
gehalten werden, so würde ich mir den Vorwitz wohl vergehen lassen, meinen
Einfällen wider das entscheidende Gutachten des ehrwürdigen großen
Haufens diejenige Freiheit zu erlauben, die durch nichts weiter als durch die
gesunde Vernunft gerechtfertiget ist. Ich würde, wenn es mir einfiele, ein
Gesetz zu bestreiten, welches nach dem Rechte des Herkommens einen
unangefochtenen Besitz in den Lehrbüchern der Weltweisen schon seit
Jahrhunderten her behauptet hat, mich selbst bald bescheiden, daß ich
entweder hätte eher kommen oder damit zurückbleiben sollen. Nun ich
aber eine große Menge solcher unternehmenden Köpfe um mich erblicke,
die mit dem Gesetze des Ansehens nichts wollen zu schaffen haben, und gegen die
man doch so viel Nachsicht hat, ihre Meinungen wohl gar zu prüfen und ihnen
nachzudenken, so wage ich es auf ein gleich günstiges Schicksal, mich unter
sie zu mengen und die Begriffe der Bewegung und der Ruhe, imgleichen der mit der
letztern verbundenen Trägheitskraft zu untersuchen und zu verwerfen; ob ich
gleich weiß, daß diejenige Herren, welche gewohnt sind, alle
Gedanken als Spreu wegzuwerfen, die nicht auf die Zwangmühle des
Wolffischen oder eines andern berühmten Lehrgebäudes aufgeschüttet
worden, bei dem ersten Anblick die Mühe der Prüfung vor unnötig
und die ganze Betrachtung vor unrichtig erklären werden.
Ich wünsche, daß sich meine Leser auf einen
Augenblick in diejenige Verfassung des Gemüts versetzen könnten,
welche CARTES vor so unumgänglich nötig zur Erlangung richtiger
Einsichten hält, und worin ich mich jetzo befinde, nämlich sich so
lange als diese Betrachtung währet, aller erlernten Begriffe vergessen zu
machen und den Weg zur Wahrheit ohne einen andern Führer als die bloße
gesunde Vernunft von selber anzutreten.
In dieser Stellung erkenne ich, daß die Bewegung die Veränderung
des Orts sei. Ich begreife aber auch bald, daß der Ort eines Dinges durch
die Lage, durch die Stellung oder durch die äußere Beziehung
desselben gegen andere, die um ihn sind, erkannt werde. Nun kann ich einen Körper
in Beziehung auf gewisse äußere Gegenstände, die ihn zunächst
umgeben, betrachten, und denn werde ich, wenn er diese Beziehung nicht ändert,
sagen, er ruhe. Sobald ich ihn aber in Verhältnis auf eine Sphäre von
weiteren Umfange ansehe, so ist es möglich, daß eben der Körper
zusamt seinen nahen Gegenständen seine Stellung in Ansehung jener ändert,
und ich werde ihm aus diesem Gesichtspunkte eine Bewegung mitteilen. Nun stehts
mir frei, meinen Gesichtskreis so sehr zu erweitern als ich will und meinen Körper
in Beziehung auf immer entfernetere Umkreise zu betrachten, und ich begreife, daß
mein Urteil von der Bewegung und der Ruhe dieses Körpers niemals beständig
sei, sondern sich bei neuen Aussichten immer verändern könne. Setzet
z. E., ich befinde mich in einem Schiffe, welches auf dem Pregel an der
Reede liegt. Ich habe eine Kugel vor mir auf dem Tische liegen; ich betrachte
sie in Ansehung des Tisches, der Wände und anderer Teile des Schiffes und
sage, sie ruhe. Bald darauf sehe ich aus dem Schiffe nach dem Ufer hin und
merke, daß das Tau, womit es befestiget war, aufgeknüpft sei, und das
Schiff langsam den Strom herabtreibe; ich sage alsbald: die Kugel bewegt sich
und zwar von Morgen gegen Abend nach der Richtung des Flusses. Jemand sagt mir
aber, die Erde drehe sich in der täglichen Bewegung mit viel größerer
Geschwindigkeit von Abend gegen Morgen; alsbald werde ich anderes Sinnes und
lege der Kugel eine ganz entgegengesetzte Bewegung bei, mit einer
Geschwindigkeit, die aus der Sternenwissenschaft leicht bestimmet wird. Aber man
erinnert mich, daß die ganze Kugel der Erde in Ansehung des Planetengebäudes
von Abend gegen Morgen in einer noch schnellern Bewegung sei. Ich bin genötigt,
dieselbe meiner Kugel beizulegen und ändere die Geschwindigkeit, die ich
ihr vorher gab. Zuletzt lehrt mich BRADLEY, daß das ganze Planetengebäude
zusamt der Sonne wahrscheinlicher Weise eine Verrückung in Ansehung des
Fixsternenhimmels erleide. Ich frage: nach welcher Seite und mit welcher
Geschwindigkeit? Man antwortet mir nicht. Und nun werde ich schwindlicht, ich
weiß nicht mehr, ob meine Kugel ruhe oder sich bewege, wohin und mit
welcher Geschwindigkeit. Jetzt fange ich an einzusehen, daß mir in dem
Ausdrucke der Bewegung und Ruhe etwas fehlet. Ich soll ihn niemals in absolutem
Verstande brauchen, sondern immer respective. Ich soll niemals sagen: Ein Körper
ruhet, ohne dazuzusetzen, in Ansehung welcher Dinge er ruhe und niemals
sprechen, er bewege sich, ohne zugleich die Gegenstände zu nennen, in
Ansehung deren er seine Beziehung ändert. Wenn ich mir auch gleich einen
mathematischen Raum leer von allen Geschöpfen als ein Behältnis der Körper
einbilden wollte, so würde mir dieses doch nichts helfen. Denn wodurch soll
ich die Teile desselben und die verschiednen Plätze unterscheiden, die von
nichts Körperlichem eingenommen sind?
Nun nehme ich zwei Körper an, deren der eine B in Ansehung
aller mir zunächst bekannten Gegenstände ruhet, der andere A aber
gegen ihn mit einer bestimmten Geschwindigkeit anrückt. Die Kugel B mag nun
in einer noch so unveränderten Beziehung gegen andere äußere
Gegenstände beharren, so ist sie darin doch nicht, wenn man sie in Ansehung
der bewegten Kugel A betrachtet. Denn ihre Beziehung ist gegenseitig, die Veränderung
derselben also auch. Die Kugel B, welche in Ansehung gewisser Objekte ruhend
genannt wird, nimmt an der Veränderung der gegenseitigen Relationen mit der
Kugel A gleichen Anteil; sie kommen beide einander näher. Warum soll ich
denn trotz allem Eigensinn der Sprache nicht sagen: Die Kugel B, die zwar in
Ansehung anderer äußerlichen Gegenstände in Ruhe ist, befindet
sich doch in Ansehung der bewegten Kugel A in gleichmäßiger Bewegung?
Ihr werdet mir zugestehen, daß, wenn von der Wirkung, die
die beide Körper im Zusammenstoße gegen einander ausüben, die
Rede ist, die Beziehung auf andere äußere Dinge hiebei nichts zu
schaffen habe. Wenn man also die Veränderung, die hier vorgeht, bloß
in Ansehung der beiden Körper A und B betrachten muß, und man ziehet
seine Gedanken von allen äußeren Gegenständen ab, so sage man
mir: ob man aus dem, was zwischen beiden vorgeht, abnehmen könne, daß
einer von beiden ruhe und bloß der andere sich bewege, und welcher von
ihnen ruhe oder sich bewege? Wird man die Bewegung nicht beiden und zwar beiden
in gleichem Maße beilegen müssen? Die Annäherung derselben gegen
einander kommt einem so gut als dem andern zu. Setzet, daß eine Kugel A
von 3 Pfund Masse sich gegen eine andere B von 2 Pfund, welche in Ansehung des
umgebenden Raums ruhet, bewege; der Raum von 5 Fuß, der zwischen beiden
war, wird in einer Sekunde zurückgelegt. Und wann ich also bloß auf
die Veränderung, die zwischen beiden Körpern vorgeht, sehe, so kann
ich nichts weiter sagen, als 3 Pfund Masse und 2 Pfund Masse kommen einander in
einer Sekunde um 5 Fuß näher. Da ich nun nicht die gringste Ursache
habe, dem einen von diesen Körpern vor dem andern einen größeren
Anteil an dieser Veränderung beizulegen, so werde ich, um auf beiden Seiten
eine vollkommene Gleichheit, zu erhalten, die Geschwindigkeit von 5 Fuß in
einer Sekunde in umgekehrter Verhältnis der Massen verteilen müssen,
d. i. der Körper von 3 Pfund wird 2 Grade Geschwindigkeit, der von 2
Pfund aber 3 Grade zu seinem Anteile bekommen, und mit diesen Kräften
werden sie wirklich bei dem Stoße in einander wirken. Unerachtet aller
Ruhe also, darin der Körper B in Ansehung der andern nächsten Gegenstände
des Raumes sein mag, hat er dennoch eine wahrhafte Bewegung in Ansehung eines
jeden Körpers, der gegen ihn anrückt, und zwar eine Bewegung, die
jenes seiner gleich ist; so daß beider Bewegungen Summe derjenigen gleich
ist, die in dem Körper A allein gedacht werden muß, wenn man sich B
als in absoluter Ruhe vorstellt.
Wollte man sich diesem ungeachtet den Eigensinn der Sprache
anfechten lassen, so gebe ich auf zu bedenken, ob man auch wohl bei einerlei
Rede bleiben werde. Wenn eine 12 pfündige Kanonenkugel in der Gegend von
Paris vom Morgen gegen Abend wider eine Mauer geschossen wird, so sagt selbst
der Philosoph, sie bewege sich mit 600 Fuß in einer Sekunde
Geschwindigkeit, ob er gleich zugestehet: daß, weil die Erde in dieser
Breite beinahe eben die Bewegung von Abend gegen Morgen hat, die Kraft des
Pulvers eigentlich nichts anders getan hat, als nur diese Bewegung der Kugel
aufzuheben; gleichwohl und ohne sich durch die tägliche oder jährliche
Bewegung der Erde irren zu lassen, gesteht man heimlich, daß die Verhältnisse,
die die Kugel und die Mauer in Ansehung des nahe oder weit umher gegebenen
Raumes haben, hier nichts zur Sache tun, sondern es bloß auf die Beziehung
ankomme, die diese zwei Körper gegen einander haben. Bei solchem Geständnisse
aber, welchem von beiden wollte man respective auf den andern die Ruhe beilegen,
da das Phaenomenon der Veränderung nichts anders zu erkennen gibt, als daß
beide einander genähert werden, wenn man nicht vielmehr zugibt, daß
beide sich gegen einander bewegen, die Kugel gegen die Mauer und die Mauer gegen
die Kugel, und zwar eine mit so viel Kraft als die andere.
Man sehe nämlich den Raum, der zwischen beiden Körpern
zurückgeleget wird, dividiert durch die Zeit, als die Summe der
beiderseitigen Geschwindigkeiten an; man spreche: wie sich verhält die
Summe der Massen A und B zu der Masse des Körpers A, so verhält sich
die gegebene Geschwindigkeit zu der Geschwindigkeit des Körpers B, welche,
wenn man sie von der gedachten Totalgeschwindigkeit abzieht, die Geschwindigkeit
von A übrig läßt. Alsdenn wird man die ganze vorgegangene Veränderung
unter beide Körper gleich verteilt haben, und mit diesen gleichen Kräften
werden sie einander auch im Stoße treffen. Ich ziehe hieraus zu meinem
Zwecke nur folgende 2 Corollarien.
1) Ein jeder Körper, in Ansehung dessen sich ein anderer
bewegt, ist auch selber in Ansehung jenes in Bewegung, und es ist also unmöglich,
daß ein Körper gegen einen anlaufen sollte, der in absoluter Ruhe
ist.
2) Wirkung und Gegenwirkung ist in dem Stoße der Körper
immer gleich.
Es würde vielleicht niemals einem Menschen eingefallen sein
vorzugeben: daß ein Körper, der, so lange ein gegen ihn anlaufender Körper
ihn noch nicht berührt, völlig ruhig oder, wenn man es so will, im
Gleichgewichte der Kraft ist, dennoch im Augenblicke des Stoßes plötzlich
eine Bewegung gegen den stoßenden von selber annehmen oder sich in ein Übergewicht
versetzen sollte, um in ihm eine entgegengesetzte Kraft aufzuheben wenn nicht
aus der Erfahrung erhellete, daß in einem Zustande, den ein jeder vor den
Zustand der Ruhe hält, der Körper in einen jeglichen handelnden mit
gleichem Grade entgegenwirkte. Nun ich aber bewiesen habe, daß, was man fälschlich
vor eine Ruhe in Ansehung des stoßenden Körpers gehalten hat, in der
Tat beziehungsweise auf ihn eine Bewegung sei, so leuchtet von selber ein, daß
diese Trägheitskraft ohne Not erdacht sei und bei jedem Stoße eine
Bewegung eines Körpers gegen einen andern, mit gleichem Grade ihm entgegen
bewegten angetroffen werde, welches die Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung,
ohne eine besondere Art der Naturkraft erdenken zu dörfen, ganz leicht und
begreiflich erkläret. Gleichwohl dienet diese angenommene Kraft ungemein
geschickt dazu, alle Bewegungsgesetze sehr richtig und leicht daraus
herzuleiten. Aber hiezu dient sie nur ebenso, wie die Newtonische
Anziehungskraft aller Materie zu Erklärung der großen Bewegungen des
Weltbaues, nämlich nur als das Gesetz einer durch die Erfahrung erkannten
allgemeinen Erscheinung, wovon man die Ursache nicht weiß, und welche
folglich man sich nicht übereilen muß, sogleich auf eine dahin
zielende innere Naturkraft zu schieben.
Ich kann, ohne etwas von dem Rechte meines Lehrgebäudes zu
vergeben, in diesem Verstande ganz wohl zugestehen, daß alle Körper
in Ansehung der gegen sie bewegten eine Trägheitskraft haben, d. i.
eine Kraft, der Handlung in gleichem Grade entgegenzuwirken; denn dieses ist
nichts als ein Erfahrungsgesetz; allein sie scheinen nur sie in völliger
Ruhe als eine innere Kraft an sich zu haben; denn sie haben sie in der Tat bloß
darum, weil sie gegen den anlaufenden in wirklicher und gleicher Bewegung sind
und sie haben solche nimmer, in so ferne sie sich respective auf ihn in Ruhe
befinden.
Es kann auch gar nicht schwer fallen, die angenommene Begriffe
der Trägheitskraft aus andern Gründen zu widerlegen.
Denn 1) es mag ein Körper noch so viel Kräfte haben,
wenn er in Ruhe ist, so müssen sie doch alsdenn gewiß in ihm im
Gleichgewichte sein. Wie soll es denn zugehen, daß, sobald der stoßende
Körper diesen ruhenden berührt, der letztere sich plötzlich
selber in eine gegen die Seite des anlaufenden überwiegende Bewegung oder
Bestrebung versetzen soll, um in ihm einen Teil seiner Kraft zu vertilgen? Denn,
würde seine innere Kraft selbst im Augenblicke des Stoßes noch immer
im Gleichgewichte sein, so würde sie dieser mit nichts Widerstand leisten.
Und gesetzt auch daß
2) diese plötzlich entstandene Bestrebung möglich wäre,
so würde der leidende Körper selbst von dem Stoße keine Bewegung
bekommen; denn der Stoß und die Gegenwirkung würden sich einander
aufheben, und es würde daraus nichts mehr folgen, als daß beide Körper
aufhöreten, in einander zu wirken, nicht aber, daß der gestoßene
sich nach diesem bewegen sollte. Und außer diesem, weil die Trägheitskraft
eine natürliche Kraft ist, so müßte sie, wenngleich das
Gleichgewicht durch den Stoß aufgehoben worden, sich doch den Augenblick
drauf von selber wiederherstellen, d. i. der gestoßene Körper müßte
alsbald nach dem Stoße wieder ruhig sein.
Ich enthalte mich noch weit mehrerer Gründe, die ich wider
den Begriff der Trägheitskraft in Bereitschaft habe anzuführen. Ich würde
ebensowohl die metaphysische Beweise beleuchten können, die man davon vor
sich findet. Allein ich habe hier nicht ein Buch, sondern einen Bogen zu
schreiben, in dessen kleinen Inbegriff sich diese fruchtbare Materie muß
beschränken lassen.
Was die Verteidiger des gemeinen Begriffes von der Bewegung am
meisten in Verlegenheit setzen muß, ist dieses, daß sie nicht umhin
können, sich ein anderes, willkürliches Gesetze wider ihren Willen
aufdringen zu lassen, wenn sie die Bewegungsgesetze nach ihrem Lehrbegriffe erklären
wollen. Diese hülfleistende Hypothese ist das Gesetze der Continuität,
wovon vielleicht die wenigsten Mechaniker bemerket haben mögen, daß,
so sehr sie auch selbigem entgegen sein wollen, sie es doch heimlich annehmen müssen,
wenn sie den Stoß der Körper aus den angenommenen Begriffen der
Bewegung erklären wollen. Ich verstehe aber hierunter nur das physische
Gesetze der Continuität, welches sich niemals beweisen, aber wohl
widerlegen läßt; denn was das im logischen Sinne
1
) anlangt, so ist es eine sehr schöne und richtige Regel
zum Urteilen, sie tut aber zu gegenwärtigen Vorwurfe nichts. Im physischen
Verstande würde sie nach LEIBNIZENS Meinung also lauten: Ein Körper
teilt dem andern keine Kraft auf einmal mit, sondern so, daß er durch alle
unendlich kleine Zwischengrade von der Ruhe an bis zur bestimmten
Geschwindigkeit in ihn seine Kraft überträgt. Nun vernehme man, wie
alle diejenige, die die Gesetze des Stoßes nach den angenommenen Begriffen
der Bewegung erklären wollen, dieser Leibnizischen Regel sich durchaus
bedienen müssen. Warum bringt ein völlig harter Körper in einen
andern gleichartigen und gleichen nicht seine ganze Kraft durch den Stoß,
warum nur immer die Hälfte, wie dieses aus der Statik bekannt ist? Man
sagt, es geschehe, weil der stoßende Körper so lange den in seinem
Wege liegenden drückt und treibet, bis beide gleiche Geschwindigkeit, nämlich
wenn beide Massen gleich sind, bis jeglicher die Hälfte von der
Geschwindigkeit des stoßenden hat, denn alsdenn fliehet der gestoßene
Körper alle fernere Handlung des stoßenden. Allein setzt man hiebei
nicht voraus: daß alle Wirkung des anlaufenden in den ruhenden nach und
nach vermittelst einer Folge von unendlich vielen kleinen Momenten der Drückung
geschehe? Denn würkte jener mit seiner ganzen Kraft auf einmal, so würde
er seine ganze Bewegung diesem erteilen und selbst in Ruhe bleiben, welches
wider das Gesetze des Stoßes vollkommen harter Körper streitet. Der
ruhende Körper liegt ja der ganzen Bewegung des stoßenden im Wege;
wenn dieser also mit seiner ganzen Kraft auf einmal wirken kann, so wird er es
gewiß tun, und was von der ganzen Kraft gilt, das gilt auch von der Hälfte,
dem Vierteil etc. derselben; also wird er mit gar keiner endlichen Kraft auf
1
) Ich will, ohne die Formel dieser Regel hie hinzusetzen, nur
einige Beispiele davon anführen. Was da überhaupt gilt, wenn ein Körper
auf einen andern bewegten anstößt, das gilt auch, wenn er einen
ruhenden trifft; denn die Ruhe ist als eine unendlich kleine Bewegung anzusehen.
Wenn ein Kräftenmaß von den wirklichen Bewegungen überhaupt
gilt, so muß es auch vom wirklichen Drucke gelten; denn der Druck kann als
eine wirkliche Bewegung durch einen unendlich kleinen Raum angesehen werden. Ich
behalte mir vor, diese logische Regel der Continuität ein andermal ausführlich
zu erläutern und in ihr gehöriges Licht zu setzen.
einmal wirken, sondern nur durch alle unendlich kleine Momente
nach und nach, welches das Gesetze der Continuität besagt.
Da wir hieraus sehen, daß man das Gesetz der Continuität
durchaus annehmen müsse, wenn man sich nicht des gemeinen Begriffes von der
Bewegung und Ruhe entladen will, so will ich nur kürzlich zeigen, warum
dennoch die berühmtesten Naturkündiger dasselbe nicht einmal als eine
Hypothese wollen gelten lassen; denn vor etwas Bessers kann man es nimmer
ausgeben, weil man es nicht beweisen kann.
Wenn ich vorgebe, daß ein Körper in einen andern
niemals mit einem Grade Kraft auf einmal wirken könne, ohne alle mögliche
kleine Zwischengrade vorhero durchzugehen, so, sage ich, werde er in ihn gar
nicht wirken können. Denn es mag noch so ein unendlich kleines Moment sein,
womit er in einem Augenblicke wirkt, und welches sich in einem bestimmten
Zeitteilchen zu einer gegebenen Geschwindigkeit häuft, so ist dieses Moment
immer eine plötzliche Wirkung, die nach dem Gesetze der Continuität
erstlich hätte durch alle unendliche Grade der gringeren Momente durchgehen
sollen und auch können; denn es läßt sich immer von einem
gegebenen Moment ein anderes, kleineres denken, aus dessen Summierung jenes
erwachsen ist. Z. E. das Moment der Schwere ist gewiß unendlich
kleiner, als das Moment der Handlung bei dem Stoße der Körper, weil
diese in einer ganz unmerklichen Zeit große Grade Geschwindigkeit zuwege
bringen kann, welche die Schwere in weit längerer nur erzeugen könnte.
Also ist selbst das Moment der Wirkung beim Stoße plötzlich und dem
Gesetze der Continuität zuwider. Man darf auch nicht vorwenden, es gebe gar
keine vollkommene harte Körper in der Natur. Denn es ist hier genug, sie
nur zu gedenken und die Bewegungsgesetze derselben zu bestimmen, weil nur
vermittelst derselben diejenige, nach welchen biegsame Körper einander stoßen,
gefunden werden können. Und überdem hat doch ein jeglicher weicher Körper
einen gewissen Grad des Zusammenhanges, mit welchem er in Ansehung des ihm
gleichen oder kleinem Moments in der Kraft des stoßenden als ein harter Körper
kann angesehen werden, und wenn nur in Ansehung dieses eine plötzliche
Wirkung möglich ist, so wird sie auch in Ansehung größerer Grade
stattfinden können.
Was in dem Stoße zwischen den beiden gegenseitig wirkenden
Körpern vorgeht, ist nach unserm Lehrbegriffe aus dem Vorigen schon klar.
Es besteht nämlich bloß darin, daß Wirkung und Gegenwirkung
beiderseitig gleich sind, und daß beide Körper nach dem Stoße
beziehungsweise aufeinander ruhen, wenn sie einander nämlich geradezu
getroffen haben und man von aller Federkraft abstrahieret. Allein unter der
Benennung von Bewegungsgesetzen versteht man nicht bloß die Regeln der
Beziehung, die die stoßende Körper einer in Ansehung des andern
bekommen, sondern vornehmlich auch die Veränderung ihres äußeren
Zustandes in Absicht auf den Raum, darin sie sich befinden. Dieses ist
eigentlich zu reden nur das äußere Phaenomenon dessen, was
unmittelbar zwischen ihnen vorgegangen ist; und dieses verlangt man zu wissen.
Zu dem Ende nehme man erstlich zwei Körper A und B, den
erstern von 3 Pfund Masse, den zweiten von 2 Pfund und diesen letztem in
Ansehung des Raums, darin er sich befindet, als ruhend, den erstern aber in
Absicht auf diesen Raum als bewegt mit einer Geschwindigkeit von 5 Graden an in
einem geraden Anlaufe auf den Körper B. Weil man nun dem Körper B nach
unsern Sätzen beziehungsweise auf A eine Geschwindigkeit von 3 Graden dem A
aber gegen B von 2 Graden beilegen muß, so werden durch den Stoß
diese zwei gleiche Kräfte einander aufheben, und beide werden gegen
einander respective ruhen. Weil aber B, welches beziehungsweise auf die andere
Gegenstände ruhete, diesem zufolge eine respective Bewegung von 2 Graden
auf A hat, so wird ebendiese auch dem umgebenden Raume parallel und in gleicher
Geschwindigkeit mit dem Körper B müssen zuerkannt werden. Nun hebt der
Stoß von A diese Bewegung von 2 Graden in B auf, nicht aber in dem
umgebenden Raume, als in welchem nicht gewirkt wird; also wird dieser
fortfahren, sich nach der vorigen Richtung des Körpers B zu bewegen oder,
welches einerlei ist, der Körper B wird in entgegengesetzter Richtung, nämlich
in der Richtung des stoßenden A mit 2 Graden Geschwindigkeit in Ansehung
des umgebenden Raumes nach dem Stoße fortrücken, mithin auch der Körper
A in derselben Richtung und mit derselben Geschwindigkeit, weil er in Ansehung B
ruhet. Also werden beide Körper nach dem Stoße mit 2 Graden
Geschwindigkeit fortlaufen. Man siehet hieraus, daß eine in einem Körper
aufgehobene Geschwindigkeit, welche nur respective auf den anlaufenden Körper
in dem gestoßenen gesetzt worden, und die er nicht in Ansehung des Raums
hatte, in ihm eigentlich einen gleichen Grad der Bewegung in Absicht auf den
Raum in der Richtung des Stoßes hervorbringt.
Wenn zwei Körper A und B von den Massen wie vorher, A aber
mit 3 Graden und B mit 2 in entgegengesetzter Richtung gegen einander anlaufen,
so müssen, wenn man nur die gegenseitige Verhältnis der Bewegung
dieser Körper gegen einander betrachtet, die Geschwindigkeiten 3 und 2
summiert werden und nach dem Obigen diese Summe unter sie in umgekehrter Verhältnis
der Massen verteilt werden, so daß A 2 Grade Geschwindigkeit B aber 3
bekommt, womit sie sich folglich durch die Gleichheit der entgegengesetzten Kräfte
in respective Ruhe gegen einander versetzten. Weil nun durch die respective
Bewegung der beiden Körper gegeneinander in B eine Geschwindigkeit 3
gesetzt wurde, die B beziehungsweise auf den äußern Raum nicht gänzlich,
sondern nur davon 2 Grade hat, so wird nach dem kurz zuvor Angemerkten, die
Aufhebung einer Geschwindigkeit, die in dem Körper nicht in Ansehung des
Raumes anzutreffen war, eine Bewegung in entgegengesetzter Richtung in Ansehung
ebendesselben Raumes festsetzen, d. i. B wird mit einem Grade
Geschwindigkeit und A gleichfalls mit diesem Grade, weil es respective auf B
ruhet, in der Richtung, darin A den Stoß tat, fortbewegt werden.
Es wäre leicht, die Gesetze der Bewegung bei dem Stoße
der Körper, die mit ungleicher Geschwindigkeit nach einerlei Richtung
fortlaufen, imgleichen die Regeln des Stoßes elastischer Körper aus
den zum Grunde gelegten Begriffen herzuleiten. Es wäre auch noch nötig,
das Vorgetragene durch mehrere Erläuterungen in ein größer Licht
zu setzen. Dieses alles könnte geschehen, wenn in einer so reichen Materie
und bei so engen Grenzen des Raumes es möglich wäre, vollständig
in dem Inhalte und doch auch wortreich im Ausdrucke zu sein.
Der Entwurf von meinen Vorlesungen in dem gegenwärtigen
halben Jahre ist folgender: Ich werde die Vernunftlehre über den Auszug des
MEIERS vortragen. Die Metaphysik gedenke ich jetzo nach dem Handbuche des
BAUMEISTERS zu erklären. In einer Mittwochs- und Sonnabendsstunde werde ich
die in den vorigen Tagen abgehandelte Sätze polemisch betrachten, welches
meiner Meinung nach eins der vorzüglichsten Mittel ist, zu gründlichen
Einsichten zu gelangen. Die Mathematik wird über WOLFFENS Auszug angefangen
werden. Wenn einige Herren zu einem Collegio der Naturwissenschaft über
EBERHARDS Handbuch Belieben haben, so werde ich ihrem Verlangen ein Gnüge
zu leisten suchen. Ich habe in dem verwichenen halben Jahre die physische
Geographie nach meinen eigenen Aufsätzen vorgelesen und gedenke diese nützliche
und angenehme Wissenschaft aufs neue mit verschiedenen Erweiterungen
vorzutragen.
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